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Die Frage nach der „Seele“ Europas

(Thema der Bistumsversammlung)

Die Frage nach der Seele Europas wird nie eine befriedigende Antwort finden, denn:

  • Irgendwann einmal zu behaupten das sei sie, hier haben wir die Seele Europas, wird immer wieder Zweifler mitten in Europa wie an seinen „Rändern“ hervorbringen.
  • Die Erkenntnis, dass die Geschichte uns die Seele Europas auf einem silbernen Tablett serviert, wird sich der andauernden Kritik unterziehen müssen ungeschichtlich zu sein.
  • Europa eine gekünzelte Seele zu verpassen wird mittelfristig an dem Phänomen mangelnder Identifikationsmöglichkeiten der Menschen scheitern, die Europas Seele spüren und ein Stück selber auch sein sollen.
  • Wer die Seele Europas im vermessen des seines Kontinents lokalisiert, der wird immer wieder Argumenten ausgesetzt sein, dass die Maßlatte doch noch eine Idee hätte verschoben werden müssen.
  • Und wer nun aufgibt nach der Seele Europas zu fragen macht Europa zur Prostituierten nämlich zu einer „nur Freihandelszone“.

Kann ein Europa überhaupt eine Seele haben, eine neben den Seelen ihrer Länder? Aber wie Beschaffen sind die Seelen diese Länder, welche Seele hat unser Land, und die anderen Mitglieder und die noch darauf warten aufgenommen zu werden in das europäische „Konstrukt“? Ergibt die Summe aller Seelen dann die Seele Europas. Oder hat jedes Mitgliedsland Europas zwei Seelen in der Landesbrust, die eigene und die Europas? Europa ist definierbar über die Länder, die die „jetzt Europäer“ zu dem „Europa morgen“ machen werden. Aber das wird eben nicht reichen, weil die Denker Europas den Anspruch erheben eine Botschaft Europas zu haben, eben mehr zu sein als ein pragmatischer Verbund aus Verteidigungskonzept und Warenfluss.

Europa mehr als nur Pragmatismus, das klingt nach Kultur, europäischer Kultur. Und wer nach Kultur fragt, fragt oft auch danach wer sie mitbringt. Da machte im Kontext der Identität Deutschlands vor wenigen Jahren der Begriff der „Leitkultur“ die Runde, ein Begriff der dieses „Kultur mitbringen“ zur statischen Größe erheben wollte. Solche Gelüste scheinen einige Länder auch an dem kulturellen Werden Europas zu haben.

Die Manifestation solcher Tendenzen einer ersten und zweiten Kultur wäre die Geburtsstunde der kulturellen Forder- und Hinterbänkler in Europa. Auch eine europäische (zukünftige) Kultur ist nur insofern realpräsent und lebendig gegenwärtig, insofern sie sich produziert, und stetig sich immer selbst reproduziert. Kultur wird immer neu sie selbst im Erstehen (Entstehen) aus Kultur als kulturellem Handeln.

Europa wird seine Seele finden im kulturellen Erinnern, gestalterischem Denken und Handeln und deren Reflexion, also im „europäischen Kulturschaffen“! Europa wird auch eine gemeinsame Kulturgeschichte haben, die sich zusammensetzt aus der gemeinsamen und je eigenen Betrachtung der Vergangenheit der jeweiligen Länder Europas

Spirituelle und geistige „Minimalimpulse“
im Werden eine Seele Europas

1. Ein „weißer“ Elefant aus Bagdad und das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter als „Lesezeichen“ im Werden einer Seele Europas

Vor dem Aachener Dom, dem von Christen erbauten Abbild des himmlischen Jerusalem, traf im Jahre 802 Isaak mit Abul Abaz ein, einem weißen Elefant. Den Aachenern war ein Elefant fremd. Doch das Fremde, das Andere war hier in Aachen willkommen. Von der Annahme des Fremden spricht auch das Evangelium Jesu Christi. Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter stellt ein Schriftgelehrter die Frage: „Wer ist mein Nächster?“ Jesus antwortete: „Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho und wurde von Räubern überfallen. Sie schlugen ihn nieder und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester vorbei; er sah ihn und ging weiter. Ebenso ein Levit; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Fremder, der auf Reisen war. Er sah ihn, hatte Mitleid, verband seine Wunden, und sorgte für ihn.

Was meinst du: „Wer hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?“ Der Gesetzeslehrer antwortete: „Der, der barmherzig gehandelt hat.“ Da sagte Jesus: „Dann geh und handle genauso!“ So fordert Jesus seine Zuhörer auf: Wie der Fremde im Gleichnis sich des Verletzten annimmt, so sollen auch wir einander aufnehmen und akzeptieren. „Jesus Christus, das zärtliche Gebot der Gottes- und Menschenliebe macht keine Unterschiede zwischen Herkunft, Religion oder Kultur.“

Dieses Fremde verkörperte der weiße Elefant . Ebenso verkörperte er die Bitte um Annahme und Akzeptanz. Was ist aus dieser Botschaft, was ist aus dem weißen Elefanten geworden. Drei Kulturkreise, drei Heilige Schriften, drei Städte, Damaskus, Jerusalem und Aachen, drei Erwartungen des Reiches Gottes. Allen gemeinsam ist die Sehnsucht nach Frieden. Doch diese Hoffnung auf einen umfassenden Frieden hat sich in unserer Welt nicht erfüllt. Diese Hoffnung ist gescheitert! Kann es den himmlischen Frieden, auf Erden überhaupt geben?

Der christliche Glaube ist der Glaube an das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Jesu Weg kennt das Scheitern. Sein Tod am Kreuz ist scheitern. Doch durch diesen Tod hindurch kommt dem Menschen in der Auferstehung Jesu Christi das ewiges Leben im Frieden Gottes entgegen. Das Reich Gottes ist in Jesus Christus angebrochen aber die Vollendung seines Reiches entscheidet Gott. Die Konsequenz: Mit dem Scheitern leben, es aber nicht akzeptieren. Dem Scheitern setzen die Menschen etwas entgegen, die um des Friedens willen loslassen können, wie Jesus sein Leben losgelassen hat. Letzten Endes aber kann der unzerbrechliche Frieden nur von Gott kommen.

Bis heute befindet sich im Aachener Schatz Karls des Großen der „Olifant“, ein Jagdhorn, das aus einem Stoßzahn des Abul Abaz gefertigt sein soll. Er ist ein Ausrufezeichen des Scheiterns und ein Fragezeichen: Was schaffen unsere Hände auf dem Weg des Friedens?

Aus: Abul Abaz, der weiße Elefant in Aachen Textsequenz (gekürzt) aus dem Dokumentarfilm „Der weiße Elefant“. Autor und Darsteller Christoph Stender. Eine Produktion von ZDF und ARTE. Regisseur: Hans-Rüdiger Minow

2. Lieder des Erinnerns als Quellen eines „langen Atem“

Die Seele Europas wird nur dann einen „langen Atem“ haben, wenn sie aus der Erinnerung für die Zukunft geworden ist und immer neu wird: Europas Seele braucht Lieder, keine Märsche. Eines der bekanntesten Lieder aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist das Lied von den Moorsoldaten. Der eindringliche Text und die volksliedhafte Melodie haben es zu einer geschichtlichen Quelle gemacht.

Das Lied entstand nach Berichten der damals Internierten im Sommer 1933 im Konzentrationslager Börgermoor bei Papenburg im Emsland als Antwort auf Ausschreitungen der Wachmannschaften. Insbesondere wegen seiner letzten Strophe verbot es der Lagerkommandant schon kurze Zeit später. Es verbreitete sich dennoch schnell weiter und wurde international bekannt.

Moorsoldaten

Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Eichen stehen kahl und krumm.

Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor!

Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut,
wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldraht verstaut.

Wir sind die Moorsoldaten …

Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin.
Graben bei dem Brand der Sonne,
doch zur Heimat steht der Sinn.

Wir sind die Moorsoldaten …

Heimwärts, heimwärts jeder sehnet,
zu den Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.

Wir sind die Moorsoldaten …

Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch.
Flucht wird nur das Leben kosten,
vierfach ist umzäunt die Burg.

Wir sind die Moorsoldaten …

Doch für uns gibt es kein Klagen,
ewig kann’s nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.

Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor!

Ein weiteres Lied bringt zum Ausdruck was einer Seele Europas ebenso nie streitig gemacht werden darf. Die Tatsache, das dieses Lied während der Deutschen Revolution (1848/1849) und der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verboten wurde, spricht für das unaufgebbare Motiv, das in diesem Liedtext zum Ausdruck kommt. Um 1780 wurde der Text zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht. Im Zeitraum zwischen 1810 und 1820 wurde zum ersten Mal eine Melodie aufgeschrieben und erschien in Bern. Im Jahr 1842 wird die Weise in dem Buch „Schlesische Volkslieder“ von Hoffmann Richter veröffentlicht. Der Grundgedanke des Liedes findet sich jedoch schon im 13. Jahrhundert bei Freidank und Walther von der Vogelweide („Sind doch Gedanken frei“).

Die Gedanken sind frei

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei, wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger sie schießen
mit Pulver und Blei, die Gedanken sind frei.

Ich denke, was ich will und was mich beglücket,
doch alles in der Still‘ und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren kann niemand verwehren,
es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein in finsteren Kerker,
das alles sind rein vergebliche Werke;
denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei.

Ein „geistlich/geistiger“ Impuls zur Frage nach der Seele Europas kann nur mit einer Hoffnung, besser aber mit einer Vision schließen. Europa braucht Kinder aus ihren je verschiedenen Ländern, die zueinander sagen können: „Nun hast du deinen Schatz und ich habe meinen Schatz, also lass uns doch gemeinsam weiter spielen, ich nehme dir schon nichts weg.“

Oder:

Traum Mahl

Einen Tisch träume ich,
unendlich in allen Dimensionen,
ungezählten Menschen bietet er Platz,
an dem Hände sich berühren,
Blicke sich treffen und Worte Antworten hören.

Einen Tisch träume ich, der selber allen Gastgeber ist,
jeder – so gewollt – wie Platz genommen,
und von jedem willkommen geheißen.

Einen Tisch träume ich an dem
kein Mund leer und trocken bleibt.
Worte werden gereicht, Lieder gesungen zum
Geschenk und an dem ein Stück Brot und ein Schluck
Wein satt machen auch für das morgen,
irgendwann mit Dir.

Ich träume ein Mahl das trägt,
und das von allen Gesichtern dieser Welt lebt.
Ein Krümel die Welt sättigt und einen
Schluck Wasser spüren läßt, daß Gott Gastgeber ist!

Geistlicher Impuls zur Bistumsversammlung, 24.-26.9.2005
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