Faxbox-Predigt 1996
Am vergangenen Wochenende war Berlins Straßenpflaster die größte Tanzfläche der Welt. 700.000 sogenannte Techno-Fans brachten Berlins Straßen zum beben. Hüpfend, tanzend und zuckend bewegte sich der Tanzmarathon zu ohrenbetäubender Musik durch die Straßen Berlins zum Brandenburger Tor. Stundenlang hielten die dröhnenden Bassrhythmen des Technofiebers die meist jugendlichen Besucher und Besucherinnen in Bewegung. Schrille, signalrote Kleidung, orangegefärbte Haare, Trillerpfeifen und kaum tragbare Plateauschuhe mit schwindelerregenden Absatzhöhen gehörten zu dem Outfit der meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Diese „Love Parade“ brach alle Rekorde und wurde zur größten Kundgebung von Jugendlichen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr Ziel: Eine Demonstration für den Frieden!
In einem Interview meinte eine alte Berlinerin entsetzt: Diese Veranstaltung sei der Untergang des Abendlandes. Ein junger Teilnehmer sah das ganz anders: „Wenn sich die Teilnehmerzahl der „Love-Parade“ weiter kontinuierlich verdoppelt haben wir im Jahr 2010 Weltfrieden“!
Bleibt dahingestellt, wer Recht behalten wird.
Ob 700.000 Teenis in Berlin, 90.000 Gottesdienstbesucher beim Papst in Paderborn oder hunderttausende Besucher auf Katholikentagen und Kirchentagen; sie alle gemeinsam ernten die selbe Kritik von Großveranstaltungsgegnern: Das ist doch nur Gefühlsduselei, Hysterie und Massenbetäubung! Dabei haben die Veranstaltungen ein sehr ähnliches Ziel: Den Frieden, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen!
Aber gerade die unterschiedlichen Wege treffen auch bei den Besuchern dieser unterschiedlichen Ereignisse auf krasses gegenseitiges Misstrauen. Die Besucher einer Papstmesse zeigen in der Regel kein Verständnis für eine schrille „Techno-Love-Parade“. Selbst die Jugendlichen Katholikentagsbesucher werden, ob nun Techno oder Papst, bei solchen Veranstaltungen auch Unbehagen spüren. Und trotzdem, sie alle feiern das selbe Ziel, sie feiern für den Frieden.
Der Friedensfürst schlechthin, Jesus Christus, sieht das ganze wohl wesentlich gelassener. Das lässt das heutige Evangelium jedenfalls vermuten.
Es berichtet von einem Acker, in dem der Besitzer guten Samen gesät hat, ein Gegner jedoch heimlich auch Unkraut darunter mischte. Nun ging beides auf, Weizen und Unkraut. Der eifrige Diener des Herrn wollte nun rasch das Unkraut ausreißen. Doch sein Herr mahnte ihn zur Gelassenheit: Lass‘ beides wachsen, und zur Ernte werden wir dann das Unkraut vernichten und den Weizen in die Vorratskammer tragen.
Auch hier geht es um die Frage des Weges. Jesus lässt das scheinbar unnütze Unkraut mit dem erfolgversprechenden Weizen gemeinsam wachsen, um das endgültig Wertvolle nicht zu gefährden. Er will keine voreilige Entscheidung, die nur einen Weg zum Ziel zulässt. Jesus lässt wachsen, um an der Frucht zu erkennen, welcher Weg richtig und welcher falsch war.
Welcher Weg zum Frieden ist der richtige? Die Papstmesse, der Katholikentag oder die Techno-Fête! Wäre es nicht auch möglich, dass alle Wege einen Beitrag zum Frieden sind, auch wenn nicht jeder jeden Weg gehen kann?
Oft streiten engagierte Gemeindemitglieder um den richtigen Weg. Was gehört zu einer lebendigen Gemeinde? Volle Gottesdienste, ein gut funktionierender Krankenhausbesuchsdienst, eine aktive Caritasgruppe, der Bibelkreis und ein lebendiger Weihnachtsbasar? Oder geht eine lebendige Gemeinde ehe in die Richtung: Ein volles, fetziges Jugendheim, ein provozierender Asylbewerberkreis, eine Gruppe alleinerziehender Väter und Mütter, ein Arbeitskreis „Theologie der Befreiung“ und eine Männergruppe? Auch hier gibt es nicht den Weg und keiner hat das Recht, zu entscheiden: Lebendige Gemeinde geht nur so und nicht anders!
Wenn Menschen mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten einen Beitrag zum Gemeindeleben leisten wollen, dann ist es tödlich für jede lebendig sein wollende Gemeinde, wenn irgend jemand, wer auch immer, sich das Recht nimmt auszusortieren, bevor überhaupt etwas wachsen kann!
Wenn Gemeinde Lebensraum für Menschen sein will, dann muss sie dem Leben Raum geben, welches in ihr wachsen möchte. Wachstum braucht Zeit, Gemeinde sollte sie ihm geben.
Ist das ein Freifahrschein für alle möglichen Aktivitäten in unseren Gemeinden? Ja, weil Menschen in ihnen Leben spüren! Lieber etwas scheinbar Erfolgloses wachsen lassen als eigenmächtig etwas zu verhindern, das das Leben der Gemeinde vielleicht doch bereichert hätte. Und mehr noch: Das scheinbar nutzlose wollen, es begießen und pflegen, damit es überhaupt eine Chance hat um es nicht durch Ignoranz auf kaltem Wege verdorren zu lassen.
Selbst wenn die Früchte zu sehen sind, wird der eine sagen, diese Früchte können wir brauchen, andere aber werden genau das Gegenteil behaupten. Auch hier sollten wir der Gelassenheit Jesu nicht vorgreifen, denn er entscheidet, was wirklich Leben in sich birgt oder was nur fruchtlose Hülle war.
Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.