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Christopher Street Day

Faxbox-Predigt vom 18.7.1999

Schrill, grell, laut, obszön, unmoralisch und bizarr, so stehen viele von uns dem gegenüber, was die Medien in den vergangenen Tagen und Wochen in unsere Wohnzimmer oft live übertrugen. So mancher von uns hat sich dann der Tatsache erfreut, über Kabel oder eine „Schüssel“ zu verfügen, um sich schleunigst in ein anderes Programm zu zappen in der Hoffnung, solchem Spektakel nicht weiter ausgesetzt zu sein. Mancher hässlicher Fluch galt dann doch noch einigen Fernsehmachern, weil es gar nicht so einfach war, den Berichten anlässlich des Christopher Street Days oder der Love-Parade, dem Raver-Fest in der Hauptstadt zu entgehen. Diese Mega-Fete in Berlin, mit über 1,4 Millionen Menschen, relativ gewaltfrei und einer Hinterlassenschaft von 200 Tonnen Müll, lässt sich eher abtun als ein alljährliches Phänomen, das kommt und nach 3 Tagen einfach wieder verschwunden ist. Allerdings bleibt die Frage offen, irgendwo müssen doch die über eine Million, meist junge Menschen herkommen. Warum nicht einige auch aus unserem Bekanntenkreis?

Bedenklicher jedoch, ja fast bedrohlich, wirken auf viele von uns die Umzüge der Homosexuellen, die sich selber schwul und lesbisch nennen und mit viel Getöse, oft halb nackt, geschminkt, verkleidet in frivol anmutenden Gesten zu zig Tausenden durch die Straßen unserer Groß- und nicht nur Groß-Städte ziehen und Millionen Zaungäste auf den Plan rufen.

Müssen wir dieses Unkraut nicht rausreißen, um das Gute zu schützen?

Von der Polizei im Auftrag der Politiker, auch mitgetragen von den „guten Bürgern und Bürgerinnen“, wieder einmal 1969 in der Christopher Street, im Schwulenviertel von New York, verfolgt und in den landesüblichen Razzien diskriminiert, leisteten Schwule Widerstand. Dies war die Geburtsstunde des Christopher Street Days weltweit.

Müssen wir dieses Unkraut nicht rausreißen, um das Gute zu schützen?

Vor 30 Jahren sammelten Homosexuelle allen Mut sich nicht mehr schlagen, ausgrenzen ja verfolgen zu lassen. Sie protestierten für das Leben, welches sie in sich spürten und verlangten ihr Leben offen und ehrlich gestalten zu können.

Müssen wir dieses Unkraut nicht rausreißen, um das Gute zu schützen?

Gedicht eines jungen schwulen Mannes

Als ich wieder einmal wach wurde, schlief ich zum
ersten Male in meinem Leben nicht mehr.

Im Spiegel sah ich nur das Gesicht eines Schwulen.
Wie fremd und doch vertraut ich mir war.
Ich wollte mich, so wie ich mich fühlte,
aber wohin mit diesem Haß?

Oft schlief ich wieder ein, wach blieb,
was nicht mehr schlafen wollte.

Jahre später erzählte ich meiner Mutter meinen Traum:
Mutter antwortete: Ich habe dich nicht so gewollt, du hast
dich nicht so gewollt, also hat Gott dich so gewollt.
Nun konnte ich schlafen.

Müssen wir dieses Unkraut nicht rausreißen, um das Gute zu schützen?

Wäre das die Antwort, die wir dem jungen Mann geben würden, der dieses Gedicht geschrieben hat: Dein schwules Leben ist Unkraut, es gehört rausgerissen, damit das Gute ungestört wachsen kann!

Der Beginn unseres Evangeliums gibt uns nur eine grobe Orientierung. In diesem Gleichnis teilt der Gutsherr die Sorge seiner gut meinenden Knechte nicht und ordnet an, das Unkraut sowie den Weizen bis zur Ernte erst einmal wachsen zu lassen! Am Ende des Evangeliums, an dem Jesus das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker seinen Jüngern erklärt, bekommt das Gleichnis für diejenigen eine dramatische Wende, die homosexuelles Leben wie Unkraut eher rausgerissen sehen wollen. Diejenigen also, die der Meinung sind, Homosexualität könne man sich abgewöhnen, sei eine heilbare Krankheit oder eine Abart des Lebens, die zu unterdrücken sei.

Die dramatische Wende, die nun zum Umdenken aufruft besteht nicht in der Frage, ob Homosexualität ein Unkraut sei, das, um das Gute zu schützen, bis zur Ernte – dem Ende der Welt – geduldet werden soll.

Der Aufruf Jesu zum Umdenken besteht darin, wie Jesus das Unkraut deutet und so sagt er: „Das Unkraut sind die Söhne des Bösen!“. Somit stellt sich die Frage: Wer ist hier das Unkraut? Der junge, schwule Mann, der dieses Gedicht geschrieben hat? Oder die Mutter, die sagt: „Ich habe dich nicht so gewollt, du hast dich nicht so gewollt, also hat Gott dich so gewollt.“. Oder sind nicht diejenigen im Gleichnis als Unkraut zu bezeichnen, die sagen: Schwules und lesbisches Leben darf nicht sein!

Eines ist doch sicher: Dem homosexuellen Menschen, der sein Leben so vorfindet und ein Geschöpf Gottes ist, wie jeder anders normale auch, können wir nicht vorwerfen, ein böser Mensch zu sein, nur weil er schwul oder lesbisch ist und der sein Leben annehmen möchte, so wie Gott ihn und sie geschaffen hat.

Wer dieses Gleichnis benutzen will, um andere Menschen auszugrenzen und zu verurteilen, steht nicht auf der Seite unseres Gottes, der das Leben aller Menschen liebt und es in Güte segnet. Im Bild dieses Gleichnisses werden die ins Feuer geworfen, die „andere verführen und Gottes Gesetzte übertreten“. Gottes Gesetz wird aber in den Fällen deutlich übertreten und somit missachtet, wenn Menschen der Respekt vor dem Leben eines anderen Menschen fehlt. Jeder Mensch, egal wie er sein Leben vorfindet, beziehungsweise wie er es gestaltet, ist eine Gabe Gottes. Wer dieser Gabe Gottes nicht mit Würde und Achtung begegnet, missachtet die Würde dessen, der Leben schenkt, verachtet so Gott selbst.

Wie nun Homosexuelle ihr Leben gestalten, müssen sie ,wie jeder andere auch, vor dem eigenen Gewissen und vor Gott verantworten. Ob diese Lebensgestaltung in den Augen Gottes gelungen ist oder nicht, bleibt Gott allein an dem Tag überlassen an dem er Gericht halten wird und uns eventuell zwei Fragen stellt: Hast du meine Würde in deinem eigenen Leben so wie in dem Leben des anderen geachtet? In diesem Ereignis dann wird sich endgültig herausstellen, wer guter Samen ist und somit Sohn und Tochter des Reichs Gottes oder wer das Unkraut ist, Sohn und Tochter des Bösen.

Sicherlich bedeutet das nicht solche Events wie die Love-Parade oder den Christopher Street Day toll finden zu müssen und im nächsten Jahr nichts eiligeres zu tun zu haben, als mit dabei zu sein. Das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker ist keine Geschmacksfrage, sondern der Aufruf zur Gerechtigkeit und zu vorurteilsfreier Akzeptanz des Lebens der Menschen, so wie Gott es uns geschenkt hat.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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