www.christoph-stender.de

Artgerechte Haltung und Präsentation sakraler Kunst

Von sehenswert zu verstehenswert,
museales Vermitteln zwischen Betrachter und Exponat

0. Kunst

Kunst ist im Kommen! Kunst wird in Deutschland wie in ganz Europa verstärkt zur Kenntnis genommen! Kunst ist ein Markt! Kunst ist ein Medium! Kunst ist ein Lebensgefühl! Kunst ist „eben“ da, verantwortet!

Einerseits ziehen Sonderausstellungen unterschiedlicher Größe bzw. Museumsevents zunehmend Menschen an. (Ausstellungen überbieten sich in Umfang oder Spezialisierung: „799 Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn“ 1999 in Paderborn, „Krönungen“ 2000 in Aachen, „Europas Mitte um 1000“ von 2000 bis 2002 in Budapest, Krakau, Berlin, Mannheim, Prag und Bratislava, „Ex Oriente“ 2003 in Aachen, „MoMA“ 2004 in Berlin, „Canossa“ 2006 in Paderborn, „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ 2006 in Magdeburg und Berlin, „Eine Liebe – Max Klinger und die Folgen“ 2007 in Leipzig und Hamburg usw.) Andererseits wandert zu immer höheren Preisen Kunst über Auktionen (aber auch dunkler) in private Wände. („Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner im November 2006 versteigert für 30 Millionen Euro, „Porträt der Adele Bloch-Bauer“ von Gustav Klimt im Oktober 2006 versteigert für 135 Millionen Dollar usw.)

Diese Phänomene sagen etwas aus über die „Strahlkraft“ von Kunst. Sie sagen aber noch nichts aus über die Aussagekraft der Kunst und darüber welche Motive leiten, so das Kunst zunehmend in bestimmten Milieus unserer Gesellschaft zur Kenntnis genommen wird und mehr. Auch ist Kunst nicht gleich Kunst was den ihr zugesprochenen Anspruch betrifft wahrgenommen, präsentiert bzw. vermittelt zu werden. Aber Kunst ist eben da und da, oder eben auch nicht! Deshalb ploppen zum Thema „Artgerechte Haltung und Präsentation sakraler Kunst“ hier automatisch Felder auf wie Museumspädagogik, Erziehungswissenschaft und Schule, Jugendbildung sowie Pastoraltheologie, die im Folgenden unterschiedliche bedient werden.

1. Am Anfang stand der Kelch da

Unabhängig Ihrer eigenen Überzeugung oder Gläubigkeit ist überliefert:
Bevor Jesus, der nach Tod und Auferstehung als Christus und später auch als der Sohn Gottes bekannt wurde, die für das Christentum bis heute zentralen Worte sprach: „…Trinkt alle daraus das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden…“ (Mt 26. 27f)1, stand schon zum Mahl bereit ein Trinkgefäss da.

Mit der Entstehung und Verbreitung des Christentums nahm auch die Häufigkeit ihrer – die (Haus) Gemeinden konstituierende – Abendmahlsfeiern (auch Gedächtnisfeiern oder Eucharistiefeiern genannt) zu und mit ihnen auch die Anzahl der dazu benötigten Kelche.

Der „Urkelch“, das Gefäß also, das Jesus zum Abendmahl benutzte, der damals als Trinkgefäß bereitstand und als solcher auch genutzt wurde, hat einen einmaligen Wert (Erinnerungswert). Weil er jedoch nicht mehr nachweisbar vorhanden ist, entstanden um ihn Mythen und Sagen, und besonders die Erzählung vom heiligen Gral fand in dem „Urkelch“ begründenden, aber auch immer neu wiederbelebenden Nährboden.

Wie dem „Urkelch“ kommen allen von Anfang an in der Eucharistie benutzten Kelchen die hervorhebende Bedeutung zu, nicht einfach nur ein profanes Trinkgefäß bzw. ein Brotgefäß zu sein, sondern ein „sakrales Gefäß“. Denn sie haben aufgenommen den in der Gemeinschaft der Glaubenden von Christus selbst (personifiziert durch den handelnden Priester) in der Kraft des heiligen Geistes gewandelten eucharistischen Wein, das Blut Christi. Ebenso das gewandelte Brot, den Leib Christi, beides die ungebrochene Kommunikation zwischen Gott und Mensch, und so in die Ewigkeit hinein aufgehobener Augenblick.

Primär deshalb, und nicht etwa aufgrund der materialen Gestaltung, kommt diesem liturgischem Gerät (Vasa Sacra) immer schon diese besondere Bedeutung zu, die eine entsprechend würdigende Handhabung zur Folge hat (haben sollte). Im Lauf der Geschichte verfügten die Gemeinden in oft sehr unterschiedlich gestalteten und zugeordneten Räumlichkeiten, die der Eucharistiefeier dienten nicht mehr nur über einen Kelch und eine Patene, sondern die Anzahl der Malgeräte und auch weiterer sakraler Gegenstände2 nahm in erster Linie mit der Zunahme der Liturgien selbst zu, bzw. mit der Entstehung weiterer Gottesdienstorte wie Kirchen, Klöster und Kapellen.

„Nur ist dieses Zahlenverhältnis von Kirchengebäuden und zugehörigen Vasa sacra niemandem bewusst, denn die letzteren sind nicht so augenfällig wie die Kirchengebäude, da die Geräte, ständig in Sakristeien und Tresoren verborgen, nur bei den Gottesdiensten verwendet werden und nur dabei auch zu sehen sind.“ (Fritz S. 14)

Weitere Situationen führten in der Geschichte gleichfalls zu einer Zunahme des liturgischen Gerätes. So z. B. ein zahlenmäßiger Anstieg der Gottesdienste aufgrund neuer Kirchenfeste, gewandelter Frömmigkeitsformen oder der Einführung neuer Gedenktage (Totengedenken, Heiligengedenken etc.).

Aber auch höherwertige Möglichkeiten der Materialverarbeitung, Wandel der Moden und Geschmäcker, Stiftungen und Spenden zu besonderen Anlässen trugen ihrerseits zu einer „Inflation“ des Gerätes bei.

Ebenfalls aber wurde Sakrales Gerät zu allen Zeiten auch „entsorgt“. Wo aber verblieb das aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr genutzte sakrale Gerät, wenn es zum Beispiel einer „neuen Mode“ weichen musste, zu schlicht schien für den Gebrauch in der Eucharistiefeier oder auch zu pompös bzw. defekt war?

Eine kaum zu beziffernde Anzahl liturgischer Geräte verschwand in dunklen Kanälen der Geschichte, ob nun eingeschmolzen, vergraben, zweckentfremdet, untergegangen oder wie auch immer verschollen. Gerade im 20. Jahrhundert gingen so manche sakrale Geräte und ebenfalls auch ausgemusterte liturgische Gewänder als gute Gabe in die Missionen der „Dritten Welt“.

Aber trotzdem verfügt auch heute noch fast jede Sakristei über einen kleinen Kirchenschatz in den oberen oder hinteren Schränken verborgen aufgehoben oder intern präsentiert. Denn von nicht mehr genutztem Altargerät sich rigoros zu trennen ist schwierig, oft auch tabuisiert aufgrund von Gefühlen und Traditionen.

Immer wieder aber wurde liturgisches Gerät auch exponiert, also als besonders erhaltenswert eingestuft und aus dem Gebrauch heraus in den musealen Kontext überführt. So avancierten viele sakrale Geräte auf Grund ihres Alters, ihres materiellen Wertes und ihrer Gestaltung zum Kunstwerk, anfänglich erst nur aufbewahrt, später gesammelt und heute museal präsentiert!

2. Aufheben, sammeln, museal präsentieren

Mit der stetig zunehmenden Ausdifferenzierung des menschlichen Lebens in den vergangenen Jahrtausenden, ordnete der Mensch zunehmend bestimmten Orten in seiner Umgebung unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen zu. Neben den Orten einer alltäglichen Ordnung, an denen z.B. gekocht, geschlafen und gearbeitet wurde, gab es auch Orte der gehobenen Ordnung, die in erster Linie der Verehrung der Götter dienten oder der Beisetzung von Verstorbenen.

Um nur ein zeitnahes Beispiel zu nennen sei hingewiesen auf die vor zwei Jahren von Archäologen in Eulau bei Naumburg in Sachsen-Anhalt gefundene, einzigartig exponierte steinzeitliche Grabanlage aus der Epoche der Schnurkeramik, die vor ca. 4400 Jahren dort angelegt wurde3 und einmal mehr die Besonderheit bestimmter Orte für die Organisation menschlichen Lebens rückblickend belegt.

Je mehr sich die Notwendigkeit der Bewältigung und Gestaltung des Lebens durch den Menschen im Laufe der Zeit ausdifferenzierte, umso mehr Orten wies der Mensch bestimmte und besondere Ordnungen zu. Diese Orte sollen dem Menschen helfen grundlegend seinen Alltag zu ordnen, um ihn dadurch im Alltag vom Alltag zu entlasten. So entstanden unterschiedliche Orte, die z. B. der Lagerung von Speisen dienten, deren Zubereitung sowie deren Verzehr. Andere Orte dienten und dienen bis heute der Kommunikation, der Repräsentanz, der Pflege, der Aussonderung, des Rückzugs, der Aufbewahrung, der Produktion, dem Ackerbau, der Verehrung und dem Kultus, um nur einige zu nennen.

Das Sammeln im engeren Sinne nimmt da seinen Anfang, wo im Kultraum bestimmte Gegenstände nicht wegen ihres pragmatischen Nutzens aufbewahrt wurden, sondern weil ihnen magische und/oder symbolische Bedeutsamkeit zugesprochen wurde.

Da der Mensch spätestens mit seiner „Selbst – bewusst – Werdung“ begann Dinge aufzuheben, ob nun Gegenstände der pragmatischen Alltagbewältigung, Dinge die der Erinnerung dienten oder schmückendes Stückwerk, so schaffte er sich auch besondere Orte des Aufhebens und Bewahrens. Zielgerichtet aufgehoben und gesammelt wird aber erst seit circa vier- bis fünftausend Jahren, so z. B. Schrifttafeln und Schriftrollen. Beispielsweise mit der Erfindung des Buchdrucks nahmen auch die Sammlungen von Büchern in Bibliotheken zu. Zu den wohl ältesten Bibliotheken der Welt gehört der Grundstock der heutigen Nationalbibliothek in Prag. Ihre Gründung kann man mit dem Jahr 1366 verbinden, in dem Karl der IV. der Universität von Prag mehrere Kodizes schenkte.

Der Inbegriff des Sammelns ist heute verbunden mit dem Begriff und dem Ort des Museums. Ursprünglich bezeichnet Museum (von griechisch mouse?on bzw. lateinisch museum: „Musensitz“) eine Sammlung künstlerischer oder wissenschaftlicher Exponate. Die Geschichte der modernen Kunstsammlungen beginnt in Italien mit der Frührenaissance des 14. Jahrhunderts. Es wurden ordnend Sammlungen von Antiken, Münzen, Kameen sowie Werken zeitgenössischer Kunst der jeweiligen Epochen angelegt. So entstanden an den Höfen des gehobenen Adels umfangreiche Kunstkammern und bedeutende Kunstsammlungen, die aber eher nur den privilegierten Menschen zugänglich waren und weniger breiteren Bevölkerungsgruppen.

Mit dem Übergang vom 18. ins 19. Jh. verloren die fürstlichen Kunstkammern an Bedeutung und das bürgerliche Museum prägte sich langsam aus. „Das British Museum geht schon ins 18. Jahrhundert zurück, das Musée Napoléon wurde 1803, die Nationalgalerie in London 1838 gegründet.“ (Vieregg S. 27) Seit dem 18. Jahrhundert werden auch die Gebäude so bezeichnet, in denen Sammlungen für die Öffentlichkeit zugänglich ausgestellt wurden. Wurde zunächst nur „Gleichartiges“ dort aus der Zerstreuung zusammengetragen präsentiert, entfaltete sich das explizite Sammelinteresse, und darüber hinaus wandelte sich das Museum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem Ort der wissenschaftlichen Erforschung musealer Exponate. In den sechziger Jahren entstanden in vielen Museen Zusatzabteilungen für Museumspädagogik, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis heute einen spezifischen Zugang zu den Kunstwerken ermöglichen sollen.

Vier Grundaufgaben dient auch heute noch das Museums, welche es gleichzeitig aber auch existentiell legitimieren: Sammeln, forschen, erhalten und präsentieren. Und weiter nimmt das vordergründige Paradoxon seinen Lauf: „Exponate werden aus dem Verkehr gezogen und trotzdem gewartet“ (Pomian S. 17)

3. Schatzkammern heben Schätze auf

Unter dem Oberbegriff Museum vereinen sich ganz unterschiedliche Sammlungen und Methoden, diese zu präsentieren. Auf den ersten fachlichen Blick und sicherlich auch aus der Perspektive der meisten ihrer Besucher können die so genannten Schatzkammern dazu gezählt werden, in denen sakrales Gerät und religiös motivierte Kunst zusammentragen und museal präsentiert werden.

Ihrer Entstehung voran geht jedoch nicht wie beim „herkömmlichen Museum“ das gezielte Sammeln von Exponaten, sondern das Aufheben von nicht mehr oder kaum noch benutztem sakralen Gerät und religiösem Bildwerk.

Räumlich gesehen sind die Schatzkammern den Sakristeien der Kirchen entwachsen, welche ein Aufbewahrungsort der aktiv benötigten sakralen Geräte waren, bzw. ein Ankleidungs- und Vorbereitungsort für die primären Akteure in den Liturgien. Neben den Schatzkammern, die heute oft in räumlicher Nähe zu Kathedralen und Domen zu finden sind, verfügen weiterhin auch die „einfachen“ Kirchen über eine Sakristei, die in erster Linie auch weiterhin der Vorbereitung auf den Gottesdienst dient. Also: Nicht das Sammeln von kunstvoll gestalteten und wertvoll bestückten Gegenständen war das Ziel, sondern die Schatzschränke und Schatzkammern wurden nötig, um wertgeschätztes und wertvolles jedoch aus dem liturgischen Gebrauch ausrangiertes liturgisches Gerät (fachgerecht) aufzuheben. Der Wandel war so vollzogen, was einst noch einen Gebrauchswert hatte hat nun einen Tauschwert. 4

An diesen Orten fanden dann auch jene, einstmals mit „Nichts“ aufzuwiegenden Reliquienbehältern Asyl, die der Verehrung durch die Gläubigen in aufgeklärter Zeit nicht mehr dienen konnten, sollten oder auch durften. Schatzkammern bewahren sakrales Gerät und religiös motiviertes Bildwerk das nie dafür geschaffen und bestimmt wurde einfach nur aufgehoben zu werden, sondern dazu geschaffen wurde in Aktion hinweisend gebraucht zu werden, was es nur museal ausgestellt nicht mehr „leisten“ kann. Doch darf heute bei der zweckentfremdeten musealen Präsentation dieser „Gerätschaften“ mehr erwartet werden als das, dass sie einfach nur „gewichtet herumstehen“?

Und was erwartet der Besucher, dem z.B. liturgische Rieten und Gebräuche eher fremd sind, oder der, der besonderen Wert legt auf seine passive Religionsfreiheit (im öffentlichen Raum)?

4. Museen dienen

Ob man sich nun in einer Bildergalerie, einem Museum einer Schatzkammer, einer Pinakothek oder sonst einem umbauten Raum befindet in dem Kulturgut bekannter Weise museal behandelt wird, in jedem Falle geht der Besucher davon aus, dass dort etwas ausgestellt wird, also das es etwas zu sehen gibt.

Ein leeres Museum ist eigentlich zwecklos, eigentlich. Auch wenn es in einem Museum etwas zu lernen, zu verstehen oder zu kombinieren gäbe, zuerst will der allgemeine Besucher etwas sehen, das es in seiner normalen Umgebung so nicht oder nicht mehr zu sehen gibt!

Nachdem der Besucher also das klassische Prozedere Kasse, Garderobe, (Toilette), Kartenkontrolle absolviert hat, betritt er in der Regel einen Ausstellungsraum, deren Inhalt seine Erwartung bedient, nämlich hier etwas in den Blick nehmen zu können für das er sich auch weitestgehend entschieden hat, spätestens während er sich der Kasse näherte. Mit dem ersten als solches ausgemachten Ausstellungsstück ereignet sich dann möglicher Weise ein „Zwischen“ von Exponat und Gegenüber. Während das Exponat in der Regel nur aktiv als Werkfakt da steht, also aktiv sich nicht verhalten kann, hat ihm gegenüber der Besucher (dem Museumskonzept entsprechend) unterschiedliche Möglichkeiten sich zu verhalten. Hier tut sich ein Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten auf beginnend bei einem gleichmäßigen und selbst entschiedenen Schlendern von Exponat zu Exponat, über ein Hopping zu dem immer wieder nächsten, augenfällig erscheinenden – oder auch besonders positionierten – Ausstellungsstück, bzw. der geführten Begehung zu besonders aussagekräftiger Kunst, bis hin zu einer angeleiteten Aktion, methodisch didaktisch ausgereizt vor ausgesuchtem Kunstwerk.

So ganz „passiv“ sind die Exponate, besser jene, die sie im musealen Kontext positioniert haben, aber auch nicht. Verfremdungen, Lichtverhältnisse, der Raum, die Beschaffenheit von Vitrinen und Sicherheitsvorkehrungen sowie die Präsentationsdichte etc. spielen für das Gesehenwerden eines Exponates durch das potentielle Gegenüber eine wesentliche Rolle. Der Betrachter soll eben hinschauen, dazu ist er ja auch gekommen, und sehen, vielleicht aber auch erkennen, verinnerlichen, durchdringen, verstehen, „berühren“ (vielleicht) …?

Noli me tangere, aber berühre mich nicht! Dies ist eine fast selbstverständliche Verhaltensweise der meisten derer, die ein Museum oder ähnliche Ausstellungsorte besuchen. Mit dem Begriff Sammeln und der Präsentation von Sammlungen im öffentlichen Raum scheint diese Haltung einherzugehen. Abgesehen von einigen wenigen museumspädagogischen Konzepten z. B. in Naturkundlichen Museen oder in Technikmuseen, die vorsehen ausgewählte Exponate ausdrücklich zu berühren, ist doch meistens Zurückhaltung angesagt, will man doch das Gesammelte auch erhalten.

Nur wenige weltweit bekannte Kunstwerke wie z.B. die Petrusstatue im Petersdom zu Rom sind so „hart gesotten“ ständiger Berührung stand zu halten. Doch auch die Petruszehe des linken Fußes der Statue wird daran glauben müssen wenn das mit der Berührung so weiter geht. Darf Kunst also auch vergehen, durch Gebrauch verbraucht werden?

5. Es ist – geschaffen zum Gebrauch

Die meisten zu Kunstwerken erhobenen Vasa Sacra wurden nie dazu geschaffen normal angefasst zu werden, sollten sie doch eher von den Blicken der (frommen) Betrachter gestreichelt werden.

Sie anzufassen war oft nur „geweihten“ Händen vorbehalten.

Diese Tatsache darf auch für die Funktionsbestimmung von sakralem Gerät nicht übersehen werden, denn keines der heute unter musealen Bedingungen ausgestellten Kleinodien z. B. mittelalterlichen Handwerkes ist jemals dazu geschaffen worden, hinter Glas den Blicken heutiger Betrachter und Betrachterinnen museal feil geboten zu werden.

Was heute bei konstanter Temperatur aufgehoben und gelangweilt oder begeistert angeschaut werden darf, waren ursprünglich keine Kunstwerke, sondern von besonders begabten Handwerkern gestaltete Gegenstände, die in erster Linie für den liturgischen Gebrauch bestimmt waren. Ihre außergewöhnliche und aufwendige Gestaltung lag nicht in dem Bestreben der Schaffenden, von ihrer Nachwelt Künstler genannt zu werden, sondern in der Tatsache, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dem gerecht zu werden, der erstes Ziel allen liturgischen Handelns war und ist: Der verehrenswürdige Gott, der als ein anwesender und somit für die Existenz des Menschen als ein relevanter Gott erfahren wurde. So, also ursprünglich bezogen hatten diese Kultgegenständes wertschätzende, hinweisende, erzählende, bergende und dienende Funktionen. Eine Monstranz zum Beispiel diente während einer Prozession dazu, auf das Zentrum des christlichen Eucharistieverständnisses, die Gegenwart Jesu Christi im eucharistischen Brot hinzuweisen.

Die Karlsbüste, heute in der Domschatzkammer des Aachener Doms museal präsentiert, diente im Sinne der mittelalterlichen Reliquienverehrung der „Begegnung“ mit dem verstorbenen und lokal als Heiligen verehrten Kaiser Karl. Verehrende Berührung wurde gewollt und ersehnt. Retabeln hatten die Funktion, den Gottesdienstbesuchern im Verlauf einer sprachlich für sie oft nicht nachzuvollziehenden Liturgie (der lateinischen Sprache waren oft selbst die Priester nicht mächtig), das Mysterium des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi im Bild zu vergegenwärtigen. Diese Bildretabeln dienten einem elementaren Wesenszug der christlichen Gemeinden, nämlich dem eine Erzählgemeinschaft zu sein, wenn nicht im allgemeinverständlichen Wort dann doch im gemeinsam angeschauten Bild.

So dienten diese Gegenstände dem Erzählen und der religiösen Sinnorientierung. Sie waren in gleicher Weise aber auch hinweisende Zeichen, vergewissernde Anschauungsobjekte, Schmuck für das nicht Fassbare und Blickfang für das Verehrungswürdige „hinter“ dem sakralen Gegenstand. Diese Gegenstände sind keine Dekoration, sie verweisen auf den Horizont der Antwortfindung des (damaligen) Menschen, bezogen auf seine existenziellen Fragen, wie die nach dem Woher und Wohin des Lebens, die der Bedeutung von Leiden, Schmerzen und Liebe, und nicht zuletzt auch der nach dem Tod und der ewigen Wahrheit.

Dem liturgischen Gerät voraus ist also das (der) ganz Andere, die einmalige Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Ihr entspringen der Glaube und seine Ausdrucksformen. Dem Glauben immer wieder voraus geht das Hören auf die Erzählung der Offenbarung, Gotteswort in Menschenwort. Der Glaube und seine Praxis -in der Überlieferung weitergegeben- lässt Glaubenstradition entstehen. Dazu gehören auch die den Glauben zum Ausdruck bringende Gottesdienstformen und die ihnen sinnenfälligen Kulte sowie deren liturgischen Geräte und Gewandung. Ohne Vollzug sind die liturgischen Geräte an dieser Bestimmung gemessen sinnlos und so wertlos für das liturgische Erleben der Gemeinde.

Aber ursprünglich in der Liturgie verwendet und ihr dann entzogen, haftet diesen Geräten (nicht unbedingt nur aus der Perspektive derer, die sich am Kult beteiligten) etwas an, etwas Sakrales eben, sind diese vasa sacra doch mit etwas „Übernatürlichem“ in Berührung gekommen. Dies wird auch heute oft noch empfunden, ohne dass magische Kräfte beschworen werden sollen. Vielmehr kommt hier noch etwas „zum Tragen“ das mittelalterlich bis in die Neuzeit hinein auf Kirchengüter bezogen so formuliert wurde: “ Was Gott einmal übereignet war, gehörte ihm für immer.“5 (Angenendt S. 381) Aber weniger die Besitzstandwahrung Gottes „sein“ sakrales Gerät betreffend ist Grund für den Verbleib liturgisch „ausrangierten“ Gerätes in musealem Kontext. Das Material aus dem sie gefertigt sind und die Kunsthandwerklichkeit derer die sie „geschaffen“ haben sind heute, wie schon angedeutet, der primäre Grund sie museal zu präsentieren, nicht mehr.

6. Vom „es ist sehenswert“ zum „es ist verstehenswert“

Der amerikanische Philosoph Nelson Goodman vertrat in der Diskussion um die Positionierung der Museen in den 1990ern Jahren die Auffassung, „das Museum sei ein Schutz vor Blindheit“6

Bezogen auf die Funktion des Museums heute vertritt Michael Eissenhauer, Präsident der Interessenvertretung der Museen, dem Deutschen Museumsbund, mit anderen Worten einen sehr ähnlichen Standpunkt:

„Die Museen sind Erinnerungsmaschinen, große Erinnerungsarchive, die – ähnlich wie Archive, in denen schriftliche Zeugnisse aufbewahrt werden – die Zeugnisse unserer kulturellen Vergangenheit bewahren. Eine Erinnerungsmaschine, mit der wir im Stande sind uns zu vergewissern, aus welcher Vergangenheit wir kommen, welche Kulturleistungen unsere Geschichte hervorgebracht hat, es dient der Orientierung, es dient der Bildung.“7

Kurz gesagt: Museen sind Merkposten der Bildung, das kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft. Sie dienen der Orientierung und Klarsicht. Ein besonderer Beitrag diese Intention zu stärken ist der 1977 vom internationalen Museumsrat ausgerufene „Museumstag“. Im Interview mit Eissenhauer zum Museumstag 2004 hebt dieser hervor:

„Unsere Museen sind schließlich keine reinen „Objektspeicher“, vielmehr setzen sie sich in einem umfassenderen Sinne als Vermittler kultureller Werte ein. Mit dem diesjährigen Motto „Kulturelle Tradition als lebendiges Erbe“ rücken vor allem die „nicht greifbaren“ Traditionen, also Sprachen und Mundarten, regionales Handwerk, Spiele, Musik, Tänze oder Gebräuche, in das Blickfeld der Öffentlichkeit.“8

Damit ist unterstrichen dass es nicht ausreicht die Sachhinweise eines Exponates auszuweisen wie z.B. Entstehungszeit und Raum, Material, Titel, Verarbeitung oder Vergleichsstücke. Denn auch die Tradition des Exponates in der es steht und mit ihr auch das „nicht greifbare“ gehören präsentiert! Ausgestellt gehört somit nicht nur das „Sehenswert“, sondern auch das „Verstehenswert“.

Diese Intention fördert auch die UNESCO, wenn sie aus dem was z.B. ursprünglich mal in Deutschland Nationalerbe genannt wurde auswählt und weltweit aus allen Nationen ebenso besonders erhaltenswerte Kulturgüter auszeichnet mit dem Titel Weltkulturerbe. Schützenswert ist hier nicht nur das „materielle“ Objekt, sondern auch das „immaterielle“ Erbe der Menschheit, wie Zeugnisse von Gebräuchen und Ritualen, Musik, Theater, Tanz, Quellentexte, Literatur etc.9

7. Schatzkammern = Verstehenswert

Das gilt in hervorragender Weise für die (Dom) Schatzkammern. Denn das dort auf das Maß eines Exponates reduzierte und aus seiner natürlichen Umgebung entfernte sakrale Gerät und Bildwerk muss orientiert werden um im Sehen und Verstehen der Betrachter zurück weisen zu können über sich selbst hinaus. So ist es dem Betrachter möglich aus der Rücksicht den Blick zu schärfen für die durch das Ausstellungsstück eventuell ermöglichte Aussicht.

Im Vergleich zu einem Dinosaurier, einem ausgestopften Rieseneichhörnchen, einer Versteinerung oder eines aufgespießten Schmetterlings, die ebenfalls aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt wurden um museal präsentiert zu werden, hat liturgisches Gerät und Kirchenausstattung eine nicht vergleichbare, da transzendente Aussagekraft.

Darüber hinaus stellen Schatzkammern keine „ausgestorbene“ Spezies welcher Art auch immer aus. Ausgestellt werden ja Gegenstände, die meist noch voll „funktionsfähig“ sind, und deren Nachfahren oft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ausstellungsort noch einen „Dienst“ tun.

Dieser Umstand verpflichtet in besonderer Weise dazu, an Hand der Exponate eine aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein präsente Kultur an diesem Ort nicht zu verschweigen.

Sakrales Gerät museal präsentiert ist nur dann „wirklich da“, wenn es in seinen originären Bezügen zu „Wort kommt“ und nicht nur auf Handwerk, Material und Alter reduziert wird. Klar sollte aber immer bleiben: Schatzkammern sind keine Kirchen (und umgekehrt)! Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass mit dem, was kirchliche Domschatzkammer zu bieten haben, nicht neutral umgegangen werden kann. Denn die Besucher einer Schatzkammer bringen (noch) verschiedene Deutungsmuster in ihren Hinterköpfen mit, auf Grund derer sie die in den Blick genommenen Exponate versuchen zu deuten, zuzuordnen und/oder zu identifizieren.

Nur welche Deutungsmuster von den Besuchern mitgebracht werden und in wie weit sie den Exponaten entsprechen bleibt dahingestellt. Anzunehmen ist allerdings: Da das Allgemeinwissen über den christlichen Glauben und seine rituellen Ausdrucksformen schwindet, scheinen auch die Deutungsmuster der Besucher, zusammengestellt aus Resterinnerungen und medialer Kommunikation, eher rudimentär bis falsch zu sein. Trotzdem, auch in einer Schatzkammer muss gewährleistet bleiben, dass die Exponate auf den Betrachter „wirken“ können. Das schließt aber nicht aus den Besucher auch „hinzuweisen“, damit er ansichtig des Exponates von einem sehenswert zu einem verstehenswert gelangen kann und so selbst auch mitgenommen wird.

Doch was ist wenn der Besucher davon gar nichts wissen will? Wenn er einfach nur mal so „neutral“ schauen möchte, er mal eben nur um Kunst zu konsumieren gekommen ist und auf Tiefgang hinter dem zu Sehenden keine Lust hat?

Soll man dann nicht doch besser wieder die Schwelle für weniger gebildete und interessierte Menschen höher legen, sprich den Zugang erschweren um den Tempel Museum rein zu halten von den „Banausen“. Also wie es mal war: Einlass nur für Privilegierte, auch mit Hund erwünscht!

Solche Einstellung provoziert die Frage, welche Rücksicht ist eigentlich maßgebend? Die punktuelle oft einer situativen Stimmung unterworfene Verfasstheit der Besucher, oder die Verantwortung gegenüber der Geschichte eines jeden Exponates?

Diesbezüglich hat die Museumspädagogik die Aufgabe, zu versuchen, der Befindlichkeit des Besuchers gerecht zu werden und ihn zu motivieren um die „Kommunikation“ zwischen ihm, dem Betrachter und dem ihm präsentierten Exponat zu optimieren.

Der Begriff „Kommunikation“ impliziert hier aber auch das „Recht“ des Exponates dass über es Rechenschaft abgelegt wird.

Beides ist nicht zu trennen, darf aber auch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sakralgeräte ohne ihren Kontext und ihrer Bedeutungsgeschichte museal zu präsentieren ist bezogen auf Kulturvermittlung nicht nur eine sehr fragwürdige Präsentationsform, sondern fördert einen konsumierenden Materialismus, der das Haben eines Museums bedient, nicht aber das Sein dessen, was ein Museum „hat“.

8. Vermittle! Ein Schlüsselbegriff.

Kommen wir zurück zu dem Gegenstand, der am Beginn dieser Ausführungen im Mittelpunkt steht, der Kelch. Junge Menschen können oft mit diesem Begriff Kelch noch etwas anfangen, sollte aber eine Deutung des Wortes doch fehlen, dann helfen Begriffe wie Pokal oder Becher um die Funktion erschließen zu können, die einem Kelch zukommt, nämlich ein Trinkgefäß zu sein. Ist nun ein solcher Kelch in einem Museum ausgestellt, dann erschließt sich seine Funktion durch Anschauung, auch wenn die Gestaltung verglichen mit heute allgemein üblichen Trinkgefäßen eher auffällig ist.

Bis hierher bedarf es keiner besonderen Vermittlung. Aber ist bis hierher auch schon alles darüber gesagt, weshalb dieser Kelch museal präsentiert wird? Gerade wegen der auffälligen Gestaltung, könnte man schließen, sei er museal exponiert. Aber wird das dem Anspruch gerecht, dass über das Ausgestellte auch Rechenschaft abzulegen ist, damit das Exponat mehr ist als nur ein gespeichertes Objekt in einem Objektspeicher? Hier kommt ein zentraler und zukunftsweisender Schlüsselbegriff der Museumspädagogik zum tragen: Vermitteln!

Vermitteln klingt vordergründig erst einmal recht unspektakulär und langweilig, schwingen doch solche Begriffe mit wie auf etwas zeigen, hinführen, aufmerksam machen, erklären, interessieren, näher bringen, belehren, veranschaulichen oder entfalten.

Auf das Exponat und sein „Gegenüber“ bezogen, also in einer normale Museumssituation, geht es mit der Vermittlung allerdings um alles, denn es geht um das Exponat sowie um seinen Betrachter, und somit um alles was ein Museum einer allgemeinen Öffentlichkeit zu bieten hat, spektakilär! Anders formuliert: Es geht darum, entweder nur einen Kelch gesehen zu haben, oder mit dem Kelche eine „Geschichte“ erleben zu können, die geeignet wäre ganz konkrete Anknüpfungspunkte an die eigene Biographie zu ermöglichen.

9. Anknüpfungspunkte: Assoziationen zu Kelch

Hier nur einige wenige Assoziation zum Thema Kelch, die z.B. die Art einen Kelch im musealen Kontext zu präsentieren und zu kommunizieren beeinflussen könnten: Kelche dieser Art standen auf Tischen, auf Altären in Kirchen, Klöstern und winzigen Kapellen. Kelche stehen an diesen Orten auch noch heute, täglich in jeder europäischen Stadt. Sie werden gebraucht!

Die Geschichte des Kelches an solchen Orten beginnt vor über 2000 Jahren. Sie beginnt an einem einfachen Tisch, der bereitet wurde für Menschen. Dann wurden Menschen von einem Mann namens Jesus von Nazareth eingeladen, an ihn einen Stuhl zu rücken. Die Menschen kamen gerne, und sie waren willkommen so wie sie Platz genommen haben. Sie aßen miteinander, erzählten, achteten aufeinander und plötzlich ergriff dieser Jesus das Wort und erzählte an diesem Tisch von dem was ihm schon sehr bald widerfahren würde. So brach an diesem Tisch Zukunft an. Er erzählte eine ganz neue Geschichte, seine Geschichte, eine die so bisher an keinem Tisch dieser Welt je gehört war.

Mit dieser Geschichte, dem Vorgriff aus der Gegenwart in die Zukunft die mit dem Erzählen auch schon begann, erahnten die, die sich Zeit und um den Tisch Platz genommen haben, worum es an diesem Tisch gehen würde. Sie bekamen ein Gefühl für diese neue noch nie da gewesene Qualität einer Kommunikation. Immer noch stand dieser Kelch da. Ein neues Zeitalter ihres Miteinander war dramatisch angebrochen. An diesem Tisch ging es nun nicht mehr nur um Essen und Trinken, sondern es ging um das eine Leben, ja das nackte Überleben derer die diese Augenblicke um diesen Tisch versammelt lebten. An diesem Tisch wird diese Kommunikation zum Lebensmittel, an diesem Tisch gereicht, erlebt aus einem Becher getrunken, von einer Schale genommen. Miteinander essen wurde hier zu einer Kommunikation die weit über das hinausreichte was gesagt, gereich, geteilt und ausgetauscht wurde. An diesem Tisch begann ein Traum: „Einen Tisch träume ich, unendlich in allen Dimensionen, ungezählten Menschen bietet er Platz, an dem Hände sich berühren, Blicke sich treffen und Worte Antworten hören. Einen Tisch träume ich, der selber allen Gastgeber ist, jeder – so gewollt – wie Platz genommen, und von jedem willkommen geheißen. Einen Tisch träume ich an dem kein Mund leer und trocken bleibt. Worte werden gereicht, Lieder gesungen zum Geschenk und an dem ein Stück Brot und ein Schluck Wein satt machen auch für das morgen, irgendwann mit Dir.

Ich träume ein Mahl das trägt, und das von allen Gesichtern dieser Welt lebt. Ein Krümel die Welt sättigt und einen Schluck Wasser spüren lässt, dass einer aller Gastgeber ist!“10 Und er nahm den Kelch und reichte ihn…

Ein Kelch hinter Glas präsentiert erzählt all das nicht! Von sich aus gibt er all das nicht preis, deshalb bedarf es der Vermittelung. Denn Horizonte würden verloren gehen, wenn solche Assoziation, die ein solcher Kelch zulässt, und die einen solchen Kelch zulässt, verschwiegen würde!

10. „Schatzansichten“ vermitteln11

„Schatzansichten“ hieß eine Ausstellung die 2001 in der Domschatzkammer in Aachen zu sehen war. Ihr Ziel war es, den dort ausgestellten Exponaten ihren Hintergrund zurück zu geben, also von sehenswert zu verstehenswert. Der Anlass für diese Ausstellung war das Gefühl für die Sehnsucht nach Zukunft, das Leben wollen, den Glaube an Gott, die Hoffnung auf ein unzerbrechliches Leben, den Wunsch nach Selbstannahme, die Frage nach dem Ewigen, die Bitte nach Liebe und in allem die gläubige Verehrung eines spürbaren aber nicht zu habenden Gottes der Menschen damals, greifbar geworden in ihrer Liturgie und den sakralen Geräten wie sie sie damals genutzt haben: Unsere heutigen Kunstwerke hinter Glas.

– Damals wie heute eine gemeinsame Sehnsucht

Diese Kunstwerke spiegeln den Kniefall längst verstorbener Menschen wieder vor dem für sie unerreichbaren und unberechenbaren Gott, oft in der Gewandung eines wenig reflektierten Glaubens.

Gleichzeitig lassen sie aber auch den aufgerichteten Menschen vergangener Zeiten spüren, der in solch einzigartigem Können und einer ausgefeilten Ikonographie sich nicht scheute, ihrem Gott gefallen zu wollen. Wenn wir heute in einer beschleunigten Welt und der so genannten postmodernen Zeit ein anderes Selbstverständnis von uns selbst entfaltet haben und somit auch andere Gottesbilder als diese uns vorgängigen Generationen, so stehen wir ihnen in einem nicht nach: Die Sehnsucht nach dem was ist, ohne das es durch Menschenhand geworden ist, dem Verlangen noch dem Göttlichen und damit auch verbunden der Wunsch nach einer unzerbrechlichen Liebe, die jeder menschlichen Erfahrung widerspricht.

Trotz dem sehnt sich der Mensch heute noch immer nach vollendeter Liebe, nach geglückter Selbstannahme und Geborgenheit in unwandelbarem Sinn und Sein. Das ist die Hoffnung der Menschen damals wie der heute, die auf den Gott unserer aller Vorfahren setzen möchte, dem Gott der von sich im Ersten Testament der Heiligen Schriften sagt „ich bin, ich bin da“ (Vgl. Ex 3, 14) und den wir trotzdem oft meinen schon längst überholt zu haben, nach dem aber auch heute noch immer Menschen fragen und suchen!

Weltfremd aber wäre, wer nicht auch die ungezählte Menschen im Blick hat die zwar ähnlich Hoffnungen haben wie hier angedeutet, diese aber in keiner Weise mit einem Gott in Verbindung bringen, schon gar nicht mit einem konkreten Gott und für die ein personaler Gott undenkbar ist. Und so treffen sich in einer Schatzkammer „Insider“ und „Outsider“, ihre Abgrenzungen werden hier eher fliesender, die etwas sehen wollen, vielleicht auch weiter als nur bis zum Exponat. Liegt es da fern zu behaupten, dieser Schatz hat auch uns heute mehr zu sagen als nur ein fast keimfreies museales Weltkulturerbe der Menschheit zu sein?

– Zerbrechliche Brücken

Aus der Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung: „Ich möchte kleine zerbrechliche Brücken bauen, auf denen sich Menschen diesen erzählenden Kunstwerken mit Hilfe meiner stammelnden Worte anders nähern können als es in der Regel üblich ist, um zu entdecken, dass diese von Menschenhand geformten Werke überragenden Könnens ihren Ursprung in den Hoffnungen haben die wir heute mit allen Generationen vor und wohl auch nach uns teilen.“

Diese Texte, die professionell mit Hilfe von Lichtbändern, Fahnen, Wasserspielen, Bildschirmen; Rauminstallationen und verschiedene Schrifttypen an und in Raumelementen präsentiert wurden entstanden in der Betrachtung der Exponate, auf die sie sich in dieser Ausstellung beziehen sollten. Mit dem „betreten“ dieser Textbrücken zwischen Betrachter und Exponat sollte der Betrachter in einer ungewöhnlichen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk anders bei sich und seinen Fragen wieder ankommen. Die Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung endete mit dieser ungewöhnlichen Hoffnung:

„Ich hoffe das diese Texte eine kleine, wenn auch zerbrechliche Brücke sind, über die Sie gehen können um zu spüren, diese Schätze bergen etwas von dem, was der größte Schatz Gottes, der Mensch selbst in sich trägt, die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben das sich von Gott nicht allein gelassen weiß.

In diesem Sinne gebe ich keine Antworten, sondern ich möchte im besten Sinn des Wortes „provocare“ provozieren, herausrufen.“

– Reliquie, eine aktuelle Provokation

Für den Insider haben Reliquien einen „aufgeklärten“ Wert, anders wohl als im Hochmittelalter. Reliquien und Aachen gehören seit dem frühen 9. Jh. zusammen, greifbar in der Verehrung Kaiser Karls und der alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrt mit ihren vier großen Heiligtümern. Outsider, also die gefühlsmäßig kompetente aber nicht erhobene Mehrheit des Homo Touristikus, halten Reliquien für dubios und antiquiert. Dagegen tritt ein Text der Ausstellung aus dem Reliquienraum der Aachener Domschatzkammer an. Gefasste und ungefasste Reliquien (hier Knochen), eine ganze Vitrine voll, stellen den Betrachter vor eine auch ihn selbst irgendwann mal erreichende Wahrheit, die dann auch seine Wahrheit ist. Durch das Glas der Vitrine hindurch und über die Knochen hinweg war folgender Text auf einer großen weißen Stoffbahn (Leichentuch) zu lesen:

Zurück – gelassen für die Zukunft

Reliquien tragen der Zukunft hinterher
was gestern auf das Schöne, Gute und Gläubige reduziert
vorgestern ein Mensch war
der zurück ließ
was Menschen heute
als Schatz in ihren Herzen bergen
und nun sich verneigen
vor Überresten
die all das nicht mehr sind
was sie zu sein auch nie vorgaben.

Reliquien machen nicht traurig!

Die Visionslosigkeit der Menschen
Reliquien nicht mehr nötig zu haben
macht traurig
weil der Mensch vergessen hat:
Verehrung deutet Leben
das in der Verneigung die Gegenwart überdauert
und so dem Menschen auch heute
die Chance gibt:
Reliquie für die Zukunft zu sein! 12

 

– Auf den Leib projiziert

Der letzte Satz gekürzt „Reliquie für die Zukunft“ wurde mit einem speziellen Spot auf den Boden des Raumes projiziert13 mit dem Erfolg, dass wenn ein Besucher durch diesen Lichtkegel ging diese Worte auf seinem Rücken oder der Brust erschienen. So war für Momente dem Besucher auf den Leib geschrieben „Reliquie für die Zukunft“ zu sein. Er, eine Reliquie für die Zukunft? Eine Irritation! Eine Provokation!

11. Vermitteln für die Zukunft

Vermittlung bleibt eine wesentliche Kommunikationsform unserer Gesellschaft insofern die Weitergabe von (exponierten) Kulturgütern auch weiterhin als identitätsstiftend betrachtet wird.

Vermitteln bedeutet im musealen Kontext konkret Interesse am Besucher zu haben, und dieses Interesse auch entfalten zu wollen14. Vermittlung zu wollen, und diese auch experimentell zu entfalten, ist, bezogen auf Schatzkammern eine Leitungsentscheidung. Diese sollte konsequent in das grundlegende Konzept einer wie auch immer gearteten musealen Präsentation eingebunden sein.

Aber auch mit Blick auf die vielen Exponate, die in ganz normalen Kirchen Land auf Land ab zu finden sind, ist Voraussetzung für deren Vermittlung sie sichtbar werden zu lassen und ihre „Geschichten“ zu wollen, um dann ggf. auch unkonventionelle Wege zu gehen um diese zu veröffentlichen. Das Thema Vermittlung allgemein auf die Kirche und ihre Schätze bezogen ist auch ein spezielle Zukunftsfrage und somit eine der Existenzfragen der Präsenz von Kirche.

Vermittlung bedarf der Kreativität und Kreativität bedarf eines gewissen Freiraumes. In Freiräumen kann Wandel geboren werden. Wandel aber ist ständig einer Bedrohung ausgesetzt, der Ängstlichkeit derer die „wachen“ und meinen immer nur „das Beste“ zu wollen. Ihnen müssten die Augen aufgehen angesichts der Kunstschätze und der damit verbundenen Möglichkeiten, anstelle sie aus gutmeinender aber falscher Sorge zu verschließen und zu verschweigen.

Auf zukünftige Generationen hin zu vermitteln ist eine Verpflichtung die sich aus dem Erbe ergibt das Wir geerbt haben, Weltkulturerbe. Und Wir das sind die, die heute über Vermittlung nachdenken (oder leider auch nicht).

Denn so lange irgendwo permanent museal ein Kelch ausgestellt wird, gilt auch weiterhin: „Am Anfang stand der Kelch da…“ (Siehe 1. Kapitel)


1 Vgl.: Mk 14. 24ff, Lk 22. 20ff, 1. Kor 11. 25ff

Ziborium, Patene, Monstranz, Pyxis, Reliquienbehälter, Ostensorium, Peristerium, Custodia, Aspergill (Weihwasserwedel), Ölgefäß etc.

3 Quelle: http://www.stern.de/wissenschaft/mensch/:Eulau-Steinzeit-Friedhof/544653.html, 10. 11. 2007, 17.45 Uhr.

Vgl.: Vieregg, Hildegard. Museumswissenschaften, 2006. S.17

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass „gottgeweihte Kirchen“ und die dazugehörenden Besitzungen sowie Mönche und Ordensfrauen aus dem „Besitzstand“ Gottes nicht entlassen werden konnten, wohl aber sakrales Gerät profanisiert werden konnte um dann aus dem Erlös des eingeschmolzenen und verkauften Materials den Armen zu geben.

Andreas Blühm, James M. Bradburne. Vorwort in: Impressionismus, Wie das Licht auf die Leinwand kam. Ausstellungskatalog Wallraf-Richaetz-Museum & Fondation Corboud, Köln, 29. Februar – 22 Juni 2008.

Michael Eissenhauer im Interview mit Anette Schneider in „Deutschlandradio Kultur Zeitreisen“: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitreisen/581070/, vom 5.11.2007 (15. Mai 2008, 19.00 Uhr)

8http://www.museumstag.de/contenido/cms/MuseumsMagazin_PDF/MM_Interwiev1.pdf, 29.05. 2008 18.20 Uhr.

Vgl.: Vieregg, Hildegard. Museumswissenschaften, 2006. S.32.

10 Vgl.: Stender Christoph, Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001. S. 37

11 Bildmaterial zu dieser Ausstellung ist im Internet zu finden unter: http://www.christoph-stender.de/projekte/schatzansichten.html

12 Stender, Christoph. Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001. S. 53.

13 Entsprechende Ansicht findet sich im Internet unter: http://www.christoph-stender.de/projekte/rundgang15.html.

14 Aus dieser Intention heraus sind folgende Publikationen entstanden: Stender, Christoph. Pilgern ist Leben, Vom Glauben erzählt aus dem Aachener Dom. Einhard Verlag, 2007. Stender, Christoph. Wenn Träume landen, Der Aachener Dom belichtet in Wort und Bild. Einhard Verlag, 2006. Stender, Christoph, Domgefühl und Schatzeinsichten. Einhard Verlag, 2005.

 

Literatur:

Angenendt, Arnold. Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, 1997

Fritz, Johann Michael. Das evangelische Abendmalgerät in Deutschland. Evangelische Verlagsanstalt, 2004

Pomian, Krzysztof. Der Ursprung des Museums. Klaus Wagenbach Verlag, 1998

Stender, Christoph. Schatzansichten. Grenzecho Eupen, 2001

Vieregg, Hildegard Katharina. Museumswissenschaften. Wilhelm Fink Verlag (UTB), 2006

Veröffentlichung in „Engagement“, Aschendorff Verlag, 4. Quartal 2008.
Dieser Beitrag wurde in Aufsätze, Aufsätze + Artikel veröffentlicht und getaggt , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Kommentieren oder einen Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Einen Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder weitergegeben. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie können diese HTML-Tags und -Attribute verwenden <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

*
*

© Christoph Stender | Webdesign: XIQIT GmbH
Impressum

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen