Annaoktav 2010
„Nehmt Gottes Melodie in euch auf!“
Sonntag, 1. August
Kerngedanken, Bilder und Ausblicke der Predigt
von Pfarrer Christoph Stender,
Mentor für Lehramtsstudierende der katholischen Theologie an der RWTH Aachen
In die Erinnerung eingegraben
Hier finden Sie den Mitschnitt der Predigt: » domradio.de
Wie kaum ein anderes Lied, haben sich in meine Erinnerung eingegraben diese Melodie und die von ihr getragenen Worte.
„Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen. Der große Dinge tut, an uns und allen Enden. Der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zu gut bis hierher hat getan.“ (gesummt, gesungen, ego)
Mehr noch als Text und Melodie dieser Strophe hat sich eigentlich die Szene eigeprägt, in der dieses spontan angestimmte Lied eine zentrale Rolle einnimmt. Vor 55 Jahren fokussierten die Kameras aus den vielen Tausend anwesenden Männer und Frauen im Lager Friedland einige wenige Gesichter, markante, ausdrucksstarke, eben von diesem überwältigenden Augenblick ergriffene Menschen.
Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft
So berichtete an diesem 7. Oktober 1955 die Wochenschau, hier der Originalton im Text: „Die Lagerglocke von Friedland läutet zum Empfang.“
Und weiter wurden im Portrait die Gesichter der letzten 10tausend Soldaten gezeigt, die aus der sowjetischen Gefangenschaft, lange nach Kriegsende, endlich heim kehrten Der Zweite Weltkrieg beginnt für viele erst hier zu enden, 10 Jahre nach dem „offiziellen“ Ende dieses Weltkrieges, an diesem Tag, an dem der erste Bundeskanzler der BRD Dr. Konrad Adenauer diese 10-tausend Gefangenen hat zurückholen können. Und es schien als könnten sie alle im Lager Friedland den Text dieses Kirchenliedes auswendig, Heimkehrer wie Wartende. Sie alle sangen diese Strophe dankbar, würdig und getragen: „Nun danket alle Gott…“
Weit über 10 Jahre danach
An diesem 7. Oktober 1955 gab es mich selbst natürlich noch nicht. Zwei Jahre später erst erblickte ich das Licht der Welt. Über 10 Jahre nach der Rückkehr der Gefangenen sah ich diesen Ausschnitt der Wochenschau aus Friedland zufällig im öffentlich rechtlichen Fernsehen. Diese Gesichter, diese zärtlich festen und doch zögerlichen Umarmungen, die Atmosphäre und dann dieses Lied, das die Menschen nicht miteinander zu singen schienen, sondern gleichzeitig, jeder für sich, und so gemeinsam zum Dank. Diese Gesichter und Stimmen haben sich fest in meine Erinnerung eingegraben. Denn die Bilder wie der Ton dieses vergilbten Filmdokumentes kommunizierten mehr als zu sehen und zu hören war. Bild und Ton dieses Filmstreifens vermitteln in unsere Gegenwart hinein den Zauber der dieses damaligen Augenblicks und die Botschaft mit der die Menschen damals dieses Lied verbanden.
Vom Lied: „Nun danket alle Gott…“
„Nun danket alle Gott“ ist der Titel eines evangelischen Chorals, den der in Eilenburg lebende Geistliche Martin Rinckart 1630 anlässlich der Hundertjahrfeier der „Augsburger Konfession“ geschrieben hat. Der Text lehnt sich an die Schrift Jesus Sirach (50,24-26) im Alten Testament an. Berühmt wurde es im 18. Jahrhundert in Anlehnung an die Schlacht von Leuthen als der „Choral von Leuthen“. In der Nähe des niederschlesischen Ortes Leuthen besiegte am 5. Dezember 1757 die preußische Armee unter Friedrich II. die Österreicher im Siebenjährigen Krieg. Am Abend nach der Schlacht sollen – so die Chronisten – 25.000 Soldaten spontan „Nun danket alle Gott“ angestimmt haben. Dieses Kirchenlied wurde daraufhin – zunächst in Preußen, später im ganzen damaligen Reich – zur vaterländischen Hymne schlechthin.
Lieder sind nicht neutral
Dieser kurze Einblick in die Geschichte eines Liedes macht deutlich, dass ein Lied nicht grundsätzlich neutral im Raum der Geschichte daherkommt. Ein Lied muss in dem Kontext gesehen werden, in dem es entstanden ist bzw. in den es im Nachhinein gestellt, sprich gesungen wird. Lieder können anfällig sein für Deutungen in alle Richtungen.
- So wurde das Lied „Nun danket alle Gott“ als Danklied anlässlich des 100 Jubiläums der Augsburger Konfession komponiert, also dem Tag, an dem die noch heute verbindlichen Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen verabschiedet wurden.
- Im 18Jh. mutierte es zum Siegeslied über eine geschlagene Armee.
- 1955 sangen es Menschen die ihre Liebsten, aus der Gefangenschaft befreit, wieder in die Arme schließen durften.
- Heute klingt es, wird es gesungen, wie ein unverdächtiges Kirchenlied.
Die Frage nach der Grundmelodie
Lieder haben Melodien und Texte. Diese beiden Komponenten eines Liedes allerdings müssen aus dem christlichen Blickwinkel heraus sich prüfen lassen, von welcher Grundmelodie sie getragen sind. Lieder kommunizieren etwas, Lieder tragen Botschaften in die Welt, Lieder wecken Stimmungen, Lieder können verführen.
Was bedeutet es nun wenn wir sagen: „Andere Lieder wollen wir singen.“ Brauchen wir neue Liedmelodien, neue Texte und neue Arrangements? Sicher, die auch!
Wieso „andere“ Lieder?
Aber „andere“ Lieder zu singen, als Christinnen und Christen in unserer Gesellschaft, bedeutet, primär immer wieder neu und vernehmbar die Grundmelodie der christlichen Botschaft klar zum Klingen zu bringen. Diese Botschaft ist eindeutig und lautet einzig vom Ereignis der österlichen Auferstehung her zu verstehen und zu deuten so: „Wir sind befreit von der Angst um uns selbst.“ Dieser Kernaussage unseres Glaubens gilt es Stimme zu geben!
Dieses Geschenk der Befreiung in den Händen haltend, sind wir gerufen von ihm zu singen und zu musizieren, mit Blick auf die Lebenssituationen der Menschen in unserer Gesellschaft.
Die christliche Grundmelodie, des befreit seins von der Angst um uns selbst, kann heute in kämpferischen Siegeslieder, in Liedern der Selbstverherrlichung und der Selbstüberschätzung keinen Wiederklang finden.
Die „anderen“ Lieder, die es zu singen gilt, müssen übereinstimmen mit der Kommunikation derer, die diese Lieder singen. Demnach muss auch unserer Kommunikation geprägt sein von diesem „Wir sind befreit von der Angst um uns selbst“. Diese österliche Grundmelodie klinkt nur in unseren „anderen“ Liedern überzeugend und authentisch nach, wenn auch unsere Kommunikation eine andere ist, eine nachösterliche Kommunikation. Also auch unser miteinander sprechen, unser jeweiliges Verhalten, unser aufeinander schauen und voneinander sprechen bedarf immer wieder der Befreiung von dieser Angst um sich selbst. Ohne diese österliche Grundmelodie in unserer Kommunikation bliebe sie egozentrisch, egoistisch und so nur am eigenen Wohlergehen orientiert.
Nachösterliche Kommunikation
Was charakterisiert die Kommunikation nach der Auferstehung, also von Ostern her? Das Bild, die Ikone des Mahles von Emmaus, der Auferstandene und die Emmausjünger sind das Charakteristikum dieses neuen sich Verhaltens. Denn: Er nahm Brot, dankte, teilte, sprach und reichte! In der Gegenwart des Auferstandenen wurde dieses Miteinander zum Lebensmittel. Die Kommunikation der Auferstehung ist befreit von der Angst um sich selbst und kann so den Anderen gelassen an- und mitnehmen. Die Kommunikation der Auferstehung lässt den Menschen vorkommen, schützt Leib und Seele. Kommunikation wird zum Lebensmittel, sie eröffnet angstfreie Horizonte.
Die Kernfrage
Deswegen muss uns immer wieder die Frage begleiten, unter welchen Vorzeichen steht unsere Kommunikation. Kommt unsere christliche Grundmelodie in unserem Umgang miteinander zum tragen? Anders gefragt: Ist unsere Kommunikation noch eine vom Karfreitag her geprägte, die sich auszeichnet durch Verschweigen, Wortlosigkeit, Wortverweigerung, Wortmissbrauch und Todschweigen, also in jeder Beziehung von Missachtung?
Oder pflegen wir eine Osterkommunikation, komponiert aus „danken, teilen, sprechen und reichen“, und die so zum Lebensmittel wird, zur „Auferstehung“ im Alltag durch aufrichtend, aufrichtige Worte?
Das „andere“ Lied!
(Dieser Text wird von leisem Spiel der Melodie „Nun danket alle Gott…“ untermalt)
Ein „anderes“ Lied singen wir, wenn wir unserem „ewig reicher Gott“ noch etwas lassen für die anderen Menschen, auch die anderen Glaubens.
Wenn ein „immer fröhlich Herz“ auch den Wunsch beinhaltet, das mein Gegenüber ein fröhliches Herz haben kann.
Ein „anders“ Lied zu singen bedeutet gemeinsam, auf Augenhöhe an dem „edlen Frieden“ mit zubauen.
In „seiner Gnad“ erhalten zu sein bedeutet auch Gnade selber bereit zu halten mit Blick auf mein Gegenüber, besonders in Konfliktfällen.
Zu hoffen „aus aller Not“ befreit zu sein beinhaltet auch, die Nöte der Anderen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Das andere Lied singt eben nicht nur von dem „hier“ bei mir, sondern gleichzeitig auch von dem „dort“ bei dem anderen, darum vom „hier und dort“.
„Der ewig reiche Gott, woll uns in unserm Leben,
ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben.
Und uns in seiner Gnad erhalten fort und fort.
Und uns aus aller Not erlösen hier und dort.“
(gemeinsam Gotteslob Nr. 266.2)