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Der Teebeutel

Eine Erinnerung an Pater von Nell Breuning

Innerlich unsicher, gefühlsmäßig ein wenig erhaben und nach außen cool reihte ich mich ein in die übersichtliche Schlange vor dem nagelneuen Equipment des Refektors der Jesuiten in Frankfurt St. Georgen. Es war Frühstückszeit am zweiten Tag meiner großen Exerzitien, angeleitet von Jesuitenpater Michael Sievernich, ich der Teilnehmer und jeden zweiten Tagen mit diesem Jesuiten ganz für mich allein, eine gute Stunde lang, das war schon privilegiert für einen normalen Studenten, aber auch eine Herausforderung.

Nun aber zurück in den großen morgendlichen Speisesaal, mit seinen logistisch auf Distanz angeordneten runden Tischen, einer schnörkellosen Nüchternheit in einem Raumvolumen, in dem auch das schärfste Gerücht die Möglichkeit hatte, gehört zu verhallen und seiner Neuheit, dem „Schlachtschiff“ unter den Automaten für Kalt- und Warmgetränke.

Diese kleine Schlange schob mich weiter. Meine wenigen Vorgänger beobachtend versuchte ich schon Augenblicke bevor ich an der Reihe war abzuschauen, welchen Knopf ich drücken werden müsste, um mein Wunschgetränk, einen einfachen Kaffee ohne jedes Aufsehen zu ergattern. Im Augenblick war meine Stunde gekommen, einsam und allein gefordert drückte ich zielstrebig den Knopf, den ich wähnte dass, er mir meinen Kaffee beschere. Natürlich hatte ich meine Tasse in der Apparatur schon fachmännisch positioniert, da füllte sich dampfend meine Tasse, allerdings mit heißem Wasser.

Irritiert über meine kaum ausgeprägte Beobachtungsgabe, meinen offenbar mangelnden technischen Verstand und die Überlegung wie ich dieses Wasser aus meiner Tasse nun klug entsorgen konnte, ohne den Anschein zu erwecken, berechtigt der Verschwendung bezichtigt zu werden, räusperte sich jemand hinter mir. Erst jetzt wurde mir wirklich klar, dass ich nicht das Ende der Schlange war. Das erhöhte enorm das Bedürfnis den Anschein zu erwecken, Herr dieser technischen Flüssigkeitsbereitstellung zu sein. Einerseits versuchte ich nun die Knöpfe des Automaten für Warmgetränke funktionsgerecht zu analysieren, andererseits musste ich einen Blick nach rechts wagen um zu wissen, wer sich da geräuspert hat. Während ich noch unentschieden sondierte, verdichtet sich das Räuspern zu einem handfesten verbalen Monitum.

Von nun an ging alles sehr schnell. Der Blick nach rechts ließ mich ankommen in der Welt eines bedauernswerten Studenten, eben „nur“ ein Student zu sein. Pater von Nell schaute mich von unten an, den Kopf leicht schräg haltend. Meine Unfähigkeit konnte nicht besser als in seiner Haltung verdichtet werden. Die Blamage noch abwenden wollend griff ich zur naheliegensten in Wasser löslichen Substanz, einem Teebeutel, und versenkte ihn professionell meiner Tasse.

Von allen beobachtet, so meine messerscharfe Analyse des Terrains, suchte ich nun einen Platz, natürlich alleine an einem dieser runden Tische. Hier ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ wirklich treffend, denn der Teebeutel, der sich in meiner Tasse wiederfand, wies an seinem kleinen Pappsiegel am Ende des Fadens die Bezeichnung Kamillentee aus.

Bis heute trinke ich ihn, der ich in vergangener Zeit noch ein Kaffeetrinker war, und manchmal denke ich auch an Pater von Nell Breuning, diesen Jesuiten, der in seiner liebevollen und drängenden Art, mich unbewusst zum Kamillenteetrinker machte.

Veröffentlicht in: Oswald von Nell-Breuning, Anekdoten – Erinnerungen – Originaltexte. Hrsg. Johannes Arnold. Paulinusverlag, 2007. S. 81ff.
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