Gewaltfreiheit ist nicht verhandelbar – nicht in Benkovac, nicht in Nörvenich
Porträt der Bistumsstelle Aachen von Daniele Fettweis
Es ist fünf vor zwölf bei pax christi Aachen. Was sich dramatisch anhört, ist nur ein organisatorischer Zwang. Um zwölf Uhr schließt die zentrale Postausgabestelle des Bistums Aachen. Und die Post hat in diesen Tagen eine besondere Bedeutung, endet doch am morgigen Samstag die Bewerbungsfrist für die Neubesetzung der hauptamtlichen Friedensarbeiterstelle.
Mit dieser für die pax christi-Bistumsstelle Aachen wichtigen Veränderung begann auch unser Gespräch an diesem Morgen. Mir gegenüber sitzen Geschäftsführer Gerold König und Heinz Wagner, letzterer mit knapp 20 Dienstjahren fast ein Synonym für pax christi Aachen. Zum 1 Januar steht sein Wechsel als Geschäftsführer zum forum ziviler Friedensdienst in Bonn an. Nicht ganz unschuldig an dieser Neuorientierung sind die Finanz- und Personaleinsparungen im Bistum Aachen, die Heinz Wagner ironisch gelassen als zusätzlichen Impuls beschreibt.
Im Vergleich zu anderen Bistumsstellen sei es in Aachen lange Jahre ein komfortables Arbeiten gewesen. Neben der Friedensarbeiterstelle finanziert der Förderverein z.Zt. die Referentenstelle von Annett Werner und die 6o % Sekretariatsstelle von Tatjana Bogatin.
Hinzu kommen die Friedensfachkräfte an den jeweiligen Projektstandorten.
Damit sind wir direkt bei einem Schwerpunkt der Bistumsstellenarbeit angekommen. Unübersehbar stapeln sich in den Regalen des Büros in der Aachener Altstadt Ordner mit den Aufschriften „Ziviler Friedensdienst“. In die Abschlussphase kommt gerade das langjährige Engagement im kroatischen Benkovac. Im Juni 2004 löste Atana Grbic-Martinovic, als lokale Friedensfachkraft die deutschen Friedensfachkräfte ab und unterstützt den mittlerweile alleinverantwortlichen Verein Tintilinic. Das Fazit aus Aachener Sicht fällt positiv aus. pax christi hat die schwierige Rolle des Brückenbauer zwischen den Konfliktparteien wahrnehmen können und zum Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen beigeiragen. Das Vertrauen und die Akzeptanz in die Arbeit von pax christi sind kontinuierlich gewachsen. Erfahrungen, die einfließen in neue Friedensdienstprojekte. Gemeinsam mit dem forum ZFD und dem Caritasverband der Erzdiözese Sarajewo ist ein Projektantrag formuliert, der auf Genehmigung durch das BMZ wartet, in der Region Derventa (Bosnien/Herzegowina) will pax christi mit zwei Friedenfachkräften den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften unterstützen. Friedens- und Versöhnungsarbeit leisten. In Richtung eines Zivilen Friedensdienstes in Ruanda denkt auch der Arbeitskreis „Twese Hamwe“ ein Schritt, der allerdings einer langfristigen und sorgfältigen Vorbereitung bedarf.
Zivile Friedensdienste: Parteinahme für Prävention und Gewaltlosigkeit
Die Friedensdienste werden nach Heinz Wagner von der gesamten Bistumsstelle getragen. Unterstützung erfährt man aber auch von anderen pax christi-Bistumsstellen wie Limburg, Essen, München und Paderborn. Sein Wunsch wäre, die Friedensdienste direkt bei den Bistumsstellen als mittlere pax christi-Organisationsebene anzubinden. So würden diese gestärkt und neue Potentiale geweckt. Im Sinne der Nachhaltigkeit von Friedensarbeit seien die Bistumsstellen zudem besser in der Lage, nach Projektabschluss den Kontakt zu halten. Dies könne die deutsche Sektion aufgrund begrenzter personeller Kapazitäten nur schwer leisten.
Nachhaltigkeit ist auch für Gerold König ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit dem Pilotprojekt Nörvenich. Nach Abschluss des ersten Zivilen Friedensdienstes im Inland müsse die Übertragbarkeit auf andere Situationen, Städte und verfestigtere Konfliktsituationen überprüft werden.
Der Landesregierung wurde deshalb vorgeschlagen, ein Modellvorhaben für zehn Städte und Gemeinden aufzulegen, das die Übertragbarkeit der Nörvenicher Ergebnisse prüft. Eine Entscheidung darüber zögert sich jedoch aufgrund des Regierungswechsels in NRW hinaus. Doch nicht nur die Politik ist gefragt, pax christi will weiterhin mit seinen lokalen Strukturen daran mitwirken, das Erreichte in Nörvenich zu bewahren. Sicher ist auch die Mitarbeit an Weiterentwicklung des Konzeptes für einen Zivilen Friedensdienst in Deutschland, denn das Präventionsprojekt Nörvenich hat für König gezeigt, welche Chancen bestehen, wenn rechtzeitig auf kritische Situationen reagiert werden kann. (s. pz 2/2003 und 3/2003)
Nachwuchs ziehen für Friedensarbeit
Einen ebenso hohen Stellenwert wie die ZFDProjekte besitzen für die Bistumsstelle die Freiwilligen Friedensdienste. Eingespielt und trotzdem immer wieder spannend ist ihre Organisation und Begleitung, sei es im polnischen Kreisau und Bobrek, im kroatischen Benkovac oder in Aachen. Hier absolvieren junge polnische Freiwillige in einer Behinderteneinrichtung ihren Friedensdienst. Indiz für die gute Zusammenarbeit mit pax christi-Freunden in Polen, dem Zentrum in Oswiecim, und dort natürlich mit dem Aachener Priester und pax christi-Mitglied Manfred Deselaers.
Nicht nur die jüngst mit dem Gütesiegel zertifizierten Freiwilligendienste, auch die zahlreicher deutsch-kroatischen und deutsch-polnischen Jugendbegegnungen wie Theaterworkshops oder Jugendmusikfesfivals tragen zum jugendlichen Image der Bistumsstelle Aachen bei. Oft wird in diesen Veranstaltungen der Grundstein gelegt für ein langjähriges Engagement der Jugendlichen. Dies muss nicht unbedingt mit pax christi verknüpft bleiben, wie Gerold König und HeinzWagner übereinstimmend festhalten. Wichtig sei, die grundsätzliche Motivation, sich für Frieden und Versöhnung einzusetzen. Diese wird sichtbar in der Mitarbeit vieler Jüngerer in den Arbeitskreisen, in der Teilnahme an Veranstaltungen oder in der Gründung von Nachfolgeorganisationen wie dem Verein Horizont eV. der den deutsch-polnischen Dialog fördert und für Friedensdienste im Ausland wirbt (s. www horizont.org).
Profil zeigen trotz schwieriger Prämissen
Besonders jung wird das Gesicht von pax christi beim Friedenslauf der Aachener Schulen. Gestützt von einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit verzeichnet die pax christi-Veranstaltung von Jahr zu Jahr mehr Teilnehmer und mehr Aufmerksamkeit. (s. pz 4/2004) Wichtig ist den Organisatoren nicht nur der Lauf, sondern ebenso das Rahmenprogramm mit dem u.a, in den Schulen auf die Bedeutung ziviler Konfliktbearbeitung und der Frriedensdienste hingewiesen wird. Nicht unerheblich bei der organisatorischen Großanstrengung ist der „erlaufene“ Gewinn – 2005 immerhin 22000 Euro für das forum ZFD und 11.000 Euro für pax christi Aachen.
Geld, das gebraucht wird, denn die Finanzstuation ist schwierig. Ca. 30% des Etats sind Risiko, d.h. von Spenden und Zuschüssen abhängig. Diese Situation veranlasste Vorstand und Beirat, im Juni 2005 eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen. Vorgestellt wurden wichtige Entwicklungs- und Entscheidungsschritte, die Abstimmung darüber erfolgte planmäßig ein Vierteljahr später auf der regulären Mitgliederversammlung. So blieb genügend Zeit, sich mit dem Konzept und der Situation auseinander zu setzen. Am Ende dieses intensiven Kommunikationsprozesses steht für Heinz Wagner und Gerold König eine stärkere Rückendeckung und Mitverantwortung durch die Basis, die konstant seit Jahren rund 350 Mitglieder umfasst.
Nun ist man verhalten optimistisch, über einen Liquiditätsfonds die Personalstellen der Bistumsstelle weiterhin zu sichern. Langfristige Unterstützung für die Projektarbeit erhofft man sich auch von der 2002 gegründeten Stiftung „Frieden lernen — Frieden schaffen“
Doch die Finanzlage stand nicht allein im Fokus der Mitgliederversammlung, wie das Tagungsthema „Seele Europa“ schon signalisierte. Groß war das Interesse am Schwerpunktthema der Deutschen Sektion; nachgedacht wurde darüber, wie Kräfte und Ressourcen von pax christi künftig in den europäischen Einigungsprozess eingebracht werden können. Dazu wurde von den Aachenern ein viel stärkerer Blick auf die Arbeit anderer pax christi-Sektionen in Europa und auf Pax Christi International gefordert. Ein Anliegen, das Ausdruck findet in einem Antrag an die Delegiertenversammlung der deutschen Sektion.
Effektive Arbeits- und Kommunikationsstrukturen
Klare Positionierungen, vielfältige und zeitintensive Aktivitäten. Neudeutsch formuliert entsteht im Laufe des Gesprächs bei mir der Eindruck: Die Bistumsstelle Aachen ist gut aufgestellt. Eine Erklärung dafür sehen Heinz Wagner und Gerold König besonders in der Rolle des Beirates und der Arbeitskreise. In diesen Foren findet die inhaltliche Auseinandersetzuug statt, sie bestimmen das Profil der Friedensarbeit der Aachener Bistumsstelle. Der Beirat, der vier mal im Jahr ganztägig tagt, setzt sich zusammen aus den Vertretern der Basisgruppen, der Arbeitskreise und des Vorstandes. Das außerordentlich gut funktionierende Miteinander macht Mut, auch unter wirtschaftlichem Druck, verstärkt für Friedensarbeit zu werben und neue Projekte anzugehen.
Leider signalisiert die Uhr das nahende Ende unseres Gesprächs. Viele Punkte stehen noch auf meiner Rechercheliste: die unterschiedlichen Themen der fünf z.zt. aktiven Basisgruppen, die regelmäßig über Silvester stattfindenden Besinnungsfahrten nach Auschwitz, die Mitarbeit beim Aachener Friedenspreis, die spirituellen Wurzeln und und und. Doch ein Kurzporträt kann allenfalls anreißen, nie ein vollständiges Bild geben, nicht in Aachen, nicht in einer anderen Bistumsstelle. Es bleibt nur der Hinweis auf die gut gemachte Homepage www.paxchristiaachen.de, die viele vertiefende Informationen bereit hält und auf den regelmäßig erscheinenden Newsletter „Menschen machen Frieden“. Der Zeiger rückt auf fünf vor zwölf – Zeit für die Postabholung, Zeit für alltägliche, erfolgreiche Friedensarbeit.
Quelle: pax zeit, Zeitschrift der deutschen Sektion pax christi. Dezember 2005