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Auf dem Leib tragen, was trägt

Zur liturgischen Kleidung

von Michael Lejeune und Christoph Stender

1. Sich anziehen und ausziehen, ein tägliches Ritual

„Wo komme ich her, wo gehe ich hin und was ziehe ich dazu an?“ So „eingekleidet“ kommt mitunter eine der Grundfragen des einzelnen Menschen bzw. der ganzen Menschheit daher. Zwischen diesem „Wo komme ich her?“ und „Wo gehe ich hin?“ stehen wir täglich vor unserem oft reich bestückten Kleiderschrank und versuchen dort eine Antwort auf diese den Menschen bewegende Frage situationsbedingtzu finden: „Und was ziehe ich dazu an?“ Es sind Situationen und Befindlichkeiten, die die Auswahl unserer Bekleidung in der Regel lenken: Gemeinschaftsorientiert soll unsere Kleidung anziehend sein, arbeitsbedingt praktisch, um zu feiern festlich, um zu trauern bedeckt, beim Sport locker oder im Gericht seriös … Kleidung kann aussagen: Ich bin wichtig, ich habe Macht. ich bin verkleidet, ich kann mir etwas leisten, ich schlüpfe in eine Rolle, oder ich bekleide ein Amt. Ja, oft trifft noch zu, was Gottfried Keller in seiner gleichnamigen Novelle formuliert hat: „Kleider machen Leute“. Kleider machen aber auch Ordnungen und Ränge kenntlich, besonders in ausgeprägten, aber sehr verschiedenen Hierarchien, wie im Militär, in der Polizei und auch in den großen christlichen Kirchen und ihren Zeremonien. Dabei kehrt ein Ritual verlässlich immer wieder, unabhängig davon, welche Kleidung wir angelegt haben: das Ritual, sich zu entkleiden und zu bekleiden. Sich immer wieder auszuziehen, und sich dann in Folge auch immer wieder anzuziehen ist nicht nur eine fast „bewusstlose“ rituelle Prozedur, sondern auch Ausdruck der Eigenständigkeit, innerhalb der Begrenztheit, sonst nackt zu bleiben. Sich selbst nicht mehr an- oder ausziehen zu können, das Ritual also nicht mehr eigenständig zu vollziehen, ist  gravierender Verlust von Eigenständigkeit. Dieses alltägliche Ritual ist Grund und gleichzeitig Folge des Bekleidetseins des Menschen, da er zutiefst nackt ist, und dies auch im Letzten bleibt,  wider alle Bekleidung, inklusive Leichentuch.

2. Kleidung, „Sakrament der Unvollkommenheit“

Das Märchen von des „Kaisers neuen Kleidern“ (Hans Christian Andersen) hätten Adam und Eva im Paradies nicht erfinden können, da sie selber ja nicht wussten, was es bedeutet, nackt zu sein.  Erst voranschreitende Erkenntnis, der Biss in den Apfel, die verbotene Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse, ließ sie in Folge wissen, was es bedeutet, nackt zu sein, und aufgrund dieses Nacktseins Scham zu empfinden. Dem existentiellen Bedürfnis des Menschen, konkret hier Adam und Eva, die erkannte Nacktheit nun bedecken zu wollen, kam Gott mit dem „Geschenk“ des „Fellkleides“ (Gen 3,21) entgegen, und so nahm die Geschichte des sich An- und Ausziehens des sterblichen Menschen zwischen Geburt und Tod ihren Lauf. Durch dieses „Gottesgeschenk“, wird die Bekleidung [1] des Menschen zu einem Ausdruck der ihm von Gott verliehenen Würde. Zugleich ist die Bekleidung Gegenstand permanenter Erinnerung an den menschlichen Ungehorsam, sowie an den damit verbundenen Verlust des Paradieses, der sorgenlosen Nacktheit. Kleidung ist so betrachtet ein aus dem gierigen Verhalten des Menschen erwachsenes Zeichen seiner Selbstüberschätzung.

Gleichzeitig ist die Kleidung ein Zeichen göttlicher Barmherzigkeit, der diese dem Menschen zum Schutz umgelegt hat. Etwas überspitzt formuliert kann Kleidung betrachtet werden als „ein Sakrament der menschlichen Unvollkommenheit.“ [2] Vor diesem Hintergrund ist jeder Blick in den Kleiderschrank ein Bußakt ob des verlorenen Paradieses.

3. Kleidung ein Recht

Paradies ist auch ein Synonym für Unterschiedslosigkeit. Durch die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies konnte sich erst der Unterschied von Natur und Kultur entwickeln. Die „Geburt“ der Unterscheidung von Natur und Kultur und deren begriffliche Fassung durch den Menschen ist anzusiedeln um den Beginn des sich selbst Bekleidens des Menschen. Kleidung ist durch den Verlust der „positiven“ Nacktheit, in Folge des verloren gegangenen Paradieses, in der darauf folgenden Geschichte der Menschheit, als Akt der Barmherzigkeit Gottes und der ihr innewohnenden Verleihung der Menschenwürde zum verbrieften Menschenrecht gereift. Der Mensch hat das Recht, bekleidet zu sein. Aus dem 7. Jh. vor Christus belegt eine beschriftete Tonscherbe das Anrecht eines Taglöhners, das einzige Gewand, welches er als Pfand ablegte und so nackt war, zurück zu fordern. Ex 22,25f. forderte dieser Tradition folgend ausreichende Kleidung als Menschenrecht
ein (vgl. Dtn 24,12f.): „Nimmst du den Mantel deines Nächsten zum Pfand, so sollst du ihm diesen vor Sonnenuntergang zurückgeben. Denn er ist seine einzige Decke, die Hülle für seine nackte Haut. Worin sonst soll er sich schlafen legen?“ Dieses Recht auf Würde, das sich im Tragen von Kleidung nach außen hin zum Ausdruck bringt, greift der Evangelist Matthäus auf wenn er Jesus zitiert, der mit Blick auf den Gerechten sagt: „Ich war nackt und ihr habt mich bekleidet“ (Mt 25.35f). Die Bedeutung der Würde des Menschen, die zum Ausdruck kommt in seinem Nichtnackt-
sein-Müssen, greift auch der Artikel 25 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ auf, der das Recht auf Kleidung formuliert.

4. Das Gewand im alten Orient

Gewand, Teil der „Lebenstrias“

Über Jahrhunderte hinweg wurde als existenzstabilisierend des menschlichen Lebens die Trias von Brot, Kleid und Öl betrachtet. Der jüdische Gelehrte Jesus Sirach schreibt im 2. Jh. v. Christus: „Das Wichtigste zum Leben sind Brot und Wasser, Kleidung (Gewand) und Wohnung, um die Blöße zu bedecken“ (Sir 29,21). In dem alten palästinischen Sprichwort, „Baumwollkleid und voller Bauch, eine Gnade Gottes“ klingt dieser Anspruch in die Gegenwart.

Gewand, Ausdruck von Kraft

Gilgamesch, auf seiner Sinnsuche in seinem Leben von einem Löwen bedroht, tötet ihn und streift sich sein Fell über. Mit dieser „neuen“ Gewandung aus der Haut (Fell) des Löwen, so seine Wahrnehmung, übernimmt er auch die Kraft und Wildheit des von ihm erlegten Tieres.

Gewand, Auszeichnung

Ein Gewand, genauer ein Ärmelrock bewegt die Biographien von Geschwistern, so im Alten Testament beschrieben: „Israel aber liebte Josef mehr als alle seine anderen Söhne, weil er ihm erst im Alter geboren worden war, und er machte ihm einen Ärmelrock“ (Gen 37,3). Diese Geschichte erzählt vom Neid und dem daraus resultierenden Hass der Brüder des Josefs, die den „Kleinen“, als vom Vater ausgezeichnet durch bevorzugte Kleidung, in einem Gewaltakt entkleideten und so nackt in die die Sklaverei hinein erniedrigten.

Gewand, Informationsträger

Der Saum eines Gewandes konnte von hoher Bedeutung sein. Zum einen bedeutete das Ergreifen des Saumes eines Gewandes sich dem Träger des Gewandes unterzuordnen, bzw. Schutz bei ihm zu suchen (1 Sam 15,27f). Das Abschneiden des Saumes informierte über einen Loyalitätsbruch. In Mesopotamien wurde durch das Abschneiden des Saumes eine Scheidung besiegelt. [3] Der Saum des Gewandes konnte aber auch durch seine Gestaltung Auskunft geben über den Status der Person, dessen Mantel der Saum auszeichnete. An ihm ließ sich ablesen, von welchem Dorf oder Clan diese Person stammte, welcher Volkszugehörigkeit sie war und welchem Stand sie angehörte. Ein Stück des Saumes in eine frische Tontafel gedrückt diente auch als Absender bzw. Autorisierung eines Dokumentes, ähnlich wie das später ein Siegel gewährleistete. [4]

5. Vom alltäglichen an- und ausziehen

Das Leben der meisten Menschen ereignet sich zwischen Nacktheit und deren Bekleidung, bzw. zwischen Angezogensein und sich Entblößen zur Nacktheit. Kleidung bedeckt (einen dicken Bauch …), verbirgt (eine Narbe …), schützt (vor übergriffigen Blicken …), verdeckt (das Kopfhaar …), hält fest (die Körperwärme …), bezeichnet (einen Rang …), verweist (soziale Situation …), täuscht  (ungerechtfertigte Aneignung …), spielt (mit der Wahrnehmung …), vermittelt (Lebensgefühl …), verhindert (die Nacktheit …), spiegelt (Ohnmacht …), erhebt (den, der sie nicht trägt …),  unterstreicht (Körperkonturen …) u.v.m. Und immer wieder wird sie abgelegt, ausgetauscht, bewusst vernichtet oder auch weggeschmissen. Kleidung ist Instrument in Sachen Moden, Politik, Uniformierung, Unterwerfung, Demütigung, Wertschätzung, Wandel … Kleidung kann ein „Chamäleon“ sein, wie die Geschichte der Mode belegt. Nach den Weltkriegen war ein Loch in der Hose, auch wenn es gestopft war, ein Zeichen fehlender Möglichkeiten (soziale Haut). Heute ist ein Loch in der Hose ein modisches Accessoire, mit Aufpreis zu haben. Das Ankleiden und Auskleiden des Menschen ist nicht nur alltäglicher Ritus, sondern auch ritueller Alltag.

6. Liturgisch darüber gezogen

Im wahrsten Sinne des Wortes darüber gezogen kommt die liturgische Kleidung im Gottesdienst daher. Liturgische Kleidung wird über die Kleidung des Alltags gelegt entsprechend dem liturgisch gefeierten Festkreis der Kirche, gebührend der Trauer des Menschen, oder seiner Freude angemessen. Liturgische Kleidung weist darüber hinaus auch auf die Position hin, die die jeweiligen Personen in der Liturgie innehaben. In den folgenden Überlegungen geht es um einen Akzent, den alle liturgische Kleidung (Paramente) gemeinsam haben, und der sich aus ihrem lateinischen Fachbegriff erschließt. Parament kommt von dem lateinischen Begriff „parare“ und bedeutet sich bereiten, „fertig“ machen, sich auf eine besondere Tätigkeit ausrichten. Die vor der Liturgie bzw. in der Liturgie angelegten liturgischen Gewänder bereiten Personen zu ihrem besonderen liturgischen Dienst.

Diese Dienste wurden und werden von der Gemeinschaft der Kirche im Geiste Jesu Christi ermöglicht, sind strukturell eingebettet in die Sendung der Kirche, und werden allgemein durch sie, beziehungsweise speziell mit einer Weihe in ihr „vergeben“. In den jungen Gemeinden der Anfänge des Christentums, die der Weisung Jesu folgend die Eucharistie feierten, versammelten sich die Christinnen und Christen in privaten Häusern um einen Tisch, an dem auch im Kreise der Familie und weiterer Sippschaft das tägliche Sättigungsmahl eingenommen wurde. Es ist davon auszugehen [5], dass es in der Entstehungszeit der jungen Gemeinden, den ersten 4 Jahrhunderten, noch keine besondere liturgische Kleidung gegeben hat. Die „profane“, alltägliche Kleidung der
Spätantike bestand für Frauen wie für Männer in der Regel aus einem Untergewand (Tunika) und einem Obergewand (Toga). Diese Gewandung bestand aus rechteckigen Stoffstücken früher aus Wolle, später dann aus Leinen. Die Tunika wurde meist „ärmellos“ angelegt, mit einem Lederriemen gegürtet, bei Männern in Kniehöhe, bei Frauen länger und bei Soldaten kürzer, und auf der
Schulter zusammengenestelt. Erst ab dem 4. Jh. begann sich eine liturgische (sakrale) Kleidung herauszubilden beginnend dadurch, dass die Vorsteher zur Gabenbereitung z.B. über die (profane) Alltagskleidung ein zusätzliches Gewand legten. Im Umfeld der konstantinischen Wende und der damit verbundenen neuen Öffentlichkeit der Liturgien prägte sich immer mehr das liturgische Gewand aus, anfänglich besonders bezogen auf die Person des Vorstehers bzw. der Vorsteherin.

7. Neue liturgische Gewänder

Mit der Zunahme der unterschiedlichen Dienste und Dienstformen in der Liturgie und der sie bekleidenden Personen, entfaltete sich auch die liturgische Kleidung weiter. Diese Entwicklung hält bis heute an, und damit geht die Frage einher, welches liturgische Gewand für wen und welchen Dienst angemessen ist, dabei ist darauf zu achten, dass ein neues liturgisches Gewand sich harmonisch einfügt in die aus der Tradition erwachsene Paramentik, aber auch über sie in die Zukunft hinausweist. Die katholische Kirche nimmt auch zunehmend den ihr zuteilgewordenen Reichtum wahr, der sich ihr in engagierten weiblichen Mitgliedern offenbart, und „entfaltet“ sich, so dass mehr und mehr liturgische Dienste für Frauen zugänglich werden. So agieren sie als Leiterinnen in Wortgottesfeiern mit Kommunionausteilung, als Kommunionhelferinnen in der Eucharistiefeier, als Lektorinnen, Kantorinnen und Ministrantinnen. Darüber hinaus bringen sie auch die Kommunion zu den Kranken und engagieren sich im Beerdigungsdienst.

8. Die „angemessene“ liturgische Gewandung

Die entfaltete Präsenz der Frauen in der Liturgie verlangt nach angemessener Kleidung. Manche in der Liturgie Agierende, z.B. Lektoren oder Kommunionhelferinnen, plädieren für die zivile (profane) Kleidung im Altarraum. Andere in der Liturgie Verantwortliche „stecken“ Lektorinnen wie Kommunionhelfer gleichermaßen in alte Chormäntel oder Kaseln. Beides scheint keine absolute Lösung in der Frage nach angemessener Kleidung zu sein. Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass jede Person, die in der Liturgie mit einer besonderen Funktion betraut ist, mit
einem liturgischen Gewand „ausgezeichnet“ sein sollte. Ausgezeichnet aber nicht im Sinne, als etwas Besonderes ausgegrenzt, von der Gemeinde abgehoben zu sein, sondern ausgezeichnet als im Dienst eingegrenzt in die Gleichwertigkeit der miteinander feiernden Gemeinde. Angemessene liturgische Kleidung für Laien (und Priester) zu finden ist ein Anliegen, das in der Gemeinde  wachsen muss, um von der Gemeinde mit-getragen werden zu können. In einem angemessenen liturgischen Gewand kommt so nicht nur die besondere Funktion zum Ausdruck, sondern auch das Hervorgehobensein durch den besonderen Dienst als gesandt von der Gemeinde und in dessen Auftrag dienend an dem Altar des Wortes und des Mahles. Der in der Liturgie Engagierte soll nicht uniformiert sein, er soll einladen, die Gemeinde sich ebenso wie er einzubringen. Jeder Gemeinde steht es frei, welche Form sie wählt, den Laien einzukleiden; wichtig ist jedoch ein  vorhergehender innergemeindlicher Diskurs, eine gemeinsame Entscheidung, die Einigung auf etwas neu zu Entwerfendes oder etwas schon lange in der Gemeinde Beheimatetes. Die liturgische
Kleidung darf nur nicht exklusiv sein, sie dient nicht allein dazu auszuzeichnen, sondern einzuladen: einzuladen, sich ebenfalls in der Liturgie zu engagieren; einzuladen, sich eben auch dieses Gewand überzustreifen und damit in einer Reihe von engagierten Christinnen und Christen zu stehen, die Gemeindearbeit verrichten. Diese Kleidung braucht nicht dem Anspruch zu genügen, universal einsetzbar zu sein.

9. Christus das Untergewand

Der Grundentwurf eines jeden liturgischen Gewandes ist das „Taufkleid“ als „Untergewand“, das sich „entfaltet“ in das Gewand des besonderen liturgischen Dienstes. In der Taufe zieht der Täufling Christus an! So formuliert die Taufliturgie: „N., dieses Weiße Kleid soll dir ein Zeichen dafür sein, dass du in der Taufe neugeschaffen worden bist und – wie die Schrift sagt – Christus angezogen hast. Bewahre diese Würde für das ewige Leben.“ Doch wie ist das zu verstehen, Christus anzuziehen? Christus anziehen ist nicht dem damaligen orientalischen Verständnis vom Kleid
bzw. dessen Saum gemäß zu verstehen als angelegt, übergeworfen, berührt, gestreift sein oder als Auskunft über Herkunft und Stand einer Person. Auch Begriffe wie „etwas geht unter die Haut“, oder wie „eine zweite Haut haben“ sind nur Annäherungen an das fast Unaussprechliche, das sich in der Taufe vollzieht. Jesus in der Taufe anziehen ist nicht oberflächlich zu verstehen, sondern muss existentiell verstanden werden. Da „vermengt“ sich etwas mit der Haut, „zieht in sie ein“ und durchwirkt jede Faser des Leibes! Wenn wir einmal die grundlegende Funktion einer Jacke, eines Mantels oder eines Gewandes nachempfinden, dann wird klar, dass diese Kleidungstücke vor Kälte schützen, also wärmen sollen. Nun führt ein Kleidungsstück primär dem Körper keine zusätzliche Wärme hinzu, sondern die eigene Körperwärme soll so gut es geht durch sie gehalten werden. Mit der Taufe haben wir Christus angezogen, der überlebensspendende Wärme ist, die auch gleichzeitig durch Ihn in uns gehalten wird. Anders formuliert: Wir haben in der Taufe den angezogen, der uns von innen her immer wieder, kontinuierlich anzieht und durchwoben hat mit dem „Überleben“ in ihm. In der Taufe durchwirkt Christus den Menschen, wie ein Stoff, der nur deshalb Stoff ist, weil er von vielen Fäden durchwirkt „haltbar“ ist. Das bedeutet nicht, dass  Christus von uns Besitzt ergreift, er uns den Mantel der Abhängigkeit umwirft und so des Menschen Freiheit gering schätzt. Die Taufe macht frei auf Christus hin, der den Menschen durchwirkt und ihn so als Durchwirkten verstehen und handeln lässt (im Heiligen Geist).

Die Wärme, die Christus ist, den wir in der Taufe „angezogen“ haben, müssen wir aber auch halten wollen, also das „Taufkleid in uns pflegen“. Die weiße Farbe des Taufkleides steht für ein Reinheit, die mit Christus uns durchzieht, wie jeder einzelne Faden eines Tuches, das zum Tuch erst werden kann weil Fäden es durchwirken. Ablegen können wir aber das einmal Angezogensein durch Christus nicht (Charakter indelebilis/untilgbares Prägemal), weil er sich in unsere Existenz eingewoben hat ohne eine Naht, die der Mensch von sich aus auflösen könnte.

10. Getragen von innen nach außen

Wie das Kleid, nach dem Verlust des Paradieses vom Menschen entdeckt, in der Antike des Menschen Würde bezeichnet, so bezeichnet unser Angezogensein durch Christus eine neue Würde, die uns untereinander als Getaufte gleich betroffen sein lässt. „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer’ in Christus Jesus“ (Gal 3,27f). Das Taufkleid, diesen Christus, angezogen zu haben ist quasi der Leibrock, das Untergewand, über das der Getaufte alle anderen Kleidungsstücke überzieht. Ob es der wärmende Wintermantel ist, die modisch durchlöchert Jeans, die luftige Bluse oder auch nur die Badehose, darunter tragen wir immer das Angezogensein mit Christus, unser „Unterhemd“. So ist jedes liturgische Gewand von innen nach außen zu tragen. Jedes neu zu gestaltende liturgische Gewand ist eine Entfaltung des in der Taufe Christus „angezogen Habens“, das, unter aller Bekleidung getragen, nicht mehr abgelegt werden kann. Das liturgische Gewand selbst ist wie jedes andere Kleidungsstück auch dem Ritual des An- und Ausziehens unterworfen. So ist es einerseits sinnvoll, liturgische Kleidung vor dem Gottesdienst anzulegen und die liturgische Feier zu eröffnen mit dem Einzug der Liturgen, Aber auch während der Liturgie können liturgische Gewänder an und wieder abgelegt werden als ein punktuelles Agieren. Liturgische Kleidung, unabhängig davon, wann sie in der Liturgie der  Gemeinde angelegt ist, ist nur dann tragfähig, wenn der, der sie trägt, grundsätzlich von Christus eingekleidet ist in der die Christen verbindenden Taufe. So könnte beispielsweise ein Lektor in der
Liturgie aus der Gemeinde heraustreten, als ein Zeichen, durch die Gemeinde gesandt zu sein, eine liturgische Gewandung anlegen und nach der Erfüllung seines Dienstes diese wieder in der Liturgie ablegen. Allen Überlegungen liturgische Gewänder betreffend liegt eines zugrunde, Christinnen und Christen tragen ein Gewand, von innen nach außen, Christus!

 

Anmerkungen:

  1. Siehe:Kleidung und deren Bedeutung ist kulturgeschichtlich differenziert wahrzunehmen und in dem Maße, wie sie den Körper des Menschen bedeckt oder auch nicht, unterschiedlich bewertet.
  2. Thomas Staubli, Kleider in Biblischer Zeit. Stuttgart 2012, S. 11.
  3. Vgl. Staubli, Kleider, S. 78.
  4. Vgl. A. a. O. S. 15.
  5. Klara Antons, Paramente – Dimensionen der Zeichengestalt. Regensburg 1999, S.17ff.
Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. Juli 07/2017
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