Schatzansichten
Hintergrund der Ausstellung: Überraschung
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der Karlsschrein anläßlich des Gedenkens an Kaiser Karl durch die Straßen von Aachen getragen. Noch heute wird an hohen Festtagen im Kirchenjahr, nach gründlicher Einweisung, wie ein solch wertvolles Kreuz zu tragen ist, durch den Leiter der Schatzkammer ein Ministrant mit der Aufgabe betraut, das Lotharkreuz beim Einzug zum Gottesdienst vor der liturgischen Gruppe herzutragen. Nach der Feier der Liturgie verschwindet die Kostbarkeit sofort in einem speziell angefertigten Koffer, um dann von der Öffentlichkeit unbemerkt wieder in seiner Vitrine in Domschatzkammer zu verschwinden so nach den Motto: „War was?“
Ursprünglich waren all die heutigen Schätze des Aachener Domes, die nun fast ausschließlich hinter Glas geschützt sind, Gebrauchsgegenstände in der Feier der Liturgie. Der vergehenden Zeit und der bleibenden Qualität dieser außergewöhnlichen „Gebrauchsgegenstände“ ist es anzulasten, dass die wenigsten dieser liturgischen Geräte in ihrem ursprünglichen Sinne aus heute noch Verwendung finden, und alle dieser Kunstwerke als der wohl wertvollste Kirchenschatz nördlich der Alpen ein neues zu Hause in der Domschatzkammer Aachen gefunden hat. Hinter Glas geschützt und klimatisiert flößen diese Exponate dem Betrachter ungeheuren Respekt ein ob ihrer handwerklichen Genialität und künstlerischen Schönheit, sowie ihres hohen Alters.
Genau dieser Respekt aber, der durch die exponierte Stellung der Kunstwerke in diesem Museum, das eigentlich gar kein Museum sein will, noch verstärkt wird, versperrt dem Besucher den Zugang zu dem, was Menschen in damaliger Zeit mit diesen liturgischen Verdichtungen Ihres Glaubens und Lebens zum Ausdruck bringen wollten.
Das Lotharkreuz ist Ausdruck der Grenze menschlicher Existenz, die eingeholt ist in der Liebeszusage Gottes an den Menschen, und Wirklichkeit geworden in dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi, der die Menschen damals einfach vertrauten.
Eine Monstranz, die aus dem katholischem Verständnis heraus einen prunkvollen Rahmen dessen bildet, was auf einen Teller gelegt nicht mehr als ein normales Stück Brot zu sein scheint, das aber als die geschenkte reale Gegenwart Gottes in Jesus Christus verstanden und geglaubt, vielen Menschen der damaligen Zeit Kraft gab ihr Leben als von Gott nicht verlassen anzunehmen!
Die Heinrichskanzel, von der seit fast über tausend Jahren die befreiende Botschaft von Gott in Jesus Christus verkündet wird, die nicht selten von dieser Frohen Botschaft zu einer Droh Botschaft mutierte, und so spüren lies, daß das Wort Gottes nicht anders zu haben ist als Gottes Wort in Menschen Wort! Trotzdem aber spürten die Menschen die Liebeserklärung Gottes in diesen Worten auch wenn sie manchmal ganz anders interpretiert wurden, woran, und das darf auch nicht verschwiegen werden, nicht wenige Menschen zerbrachen!
So könnte ich fortfahren mit der Situla, dem Aachenaltar, der Karlsbüste, dem Gnadenbild im Dom, ja mit all den Prachtstücken die heute zum Weltkulturerbe der Menschheit zählen.
Was ich damit aber sagen will: Der Hintergrund dieser Ausstellung ist darin zu entdecken, das die Sehnsucht nach Zukunft, das Leben wollen, der Glaube an Gott, die Hoffnung auf ein unzerbrechliches Leben, der Wunsch nach Selbstannahme, die Frage nach dem Ewigen, die Bitte nach Liebe und in allem die gläubige Verehrung eines spürbaren, nicht habbaren Gottes der Menschen damals, greifbar geworden ist in diesen Kunstwerken. Diese Kunstwerke spiegeln den Kniefall längst verstorbener Menschen wieder vor dem unerreichbaren und unberechenbaren Gott , oft in der Gewandung eines wenig reflektierten Glaubens unserer Uhrahnen.
Gleichzeitig lassen sie aber auch den aufgerichteten Menschen vergangener Zeiten spüren, der in solch einzigartigem Können und einer ausgefeilten Ikonographie sich nicht scheute ihrem Gott gefallen zu wollen.
Wenn wir heute in einer beschleunigten Welt und der sogenannten postmodernen Zeit ein anderes Selbstverständnis von uns selbst entfaltet haben und somit auch andere Gottesbilder als diese uns vorgängigen Generationen, so stehen wir ihnen in einem nichts nach: Die Sehnsucht nach dem was ist, ohne das es durch Menschenhand geworden ist, dem Verlangen noch dem Göttlichen und damit auch verbunden der Wunsch nach einer unzerbrechlichen Liebe, die jeder menschlichen Erfahrung widerspricht. Trotz dem sehnt sich der Mensch heute noch immer nach vollendeter Liebe, nach geglückter Selbstannahme und Geborgenheit in unwandelbarem Sinn.
Das ist die Hoffnung der Menschen damals wie heute, die auf den Gott unserer aller Vorfahren setzen möchte, dem Gott der von sich im Ersten Testament der Heiligen Schriften sagt „ich bin, ich bin da“ und den wir trotzdem oft meinen schon längst überholt zu haben, nach dem aber auch wir heute noch immer fragen und suchen!
Liegt es da fern wie ich zu behaupten, dieser Schatz hat auch uns heute mehr zu sagen als nur ein fast keimfreies museales Kulturerbe der Menschheit zu sein?