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Stell dich dem Blick eines Kindes

Zephanja ruft: „Fürchte dich nicht!“ Paulus verkündet: „Freut euch im Herrn alle Zeit.“ Heute sind auch wir diejenigen, die gerufen sind von der Menschwerdung Jesu, dem Grund unserer weihnachtlichen Freude zu erzählen. Ein „Weihnachtsbrief in stiller Nacht“ ist eine Möglichkeit:

Lieber Freund,

bald klingt wieder ein Jahr aus das wir mit vielen Menschen gemeinsam erleben durften, und in dem Fremde zu Vertrauten wurden, so wie auch wir. Welch ein Reichtum. Nun liegt vor uns diese besondere Nacht. Von ihr möchte ich dir heute erzählen.

Von diese Nacht die eingetaucht ist in Licht und Freude, die aber auch die Trauer, die Sehnsucht und das Elend vieler Menschen nicht vergessen macht. Diese Nacht, in der wir ein Kind entdecken, die Radikalität seines Daseins jedoch uns entdeckt!

Diese Nacht der grenzenlosen Liebe weiß auch um dich, um deine Gefühle und Empfindungen, um deine Geschichte. Denn der menschgewordene Gott nimmt dich unwiderruflich ernst. Sein Ja gilt dir. Begegnest du ihm, so wird er deine Hände nehmen, er wird dich anschauen, deine Worte hören – ganz gesammelt -, jedes in seinem Herzen bergend. Dein Gestern und dein Eben, bei ihm kannst du es lassen, dich lassen, dich ihm überlassen, mit all deinen Erinnerungen, mit deiner Freude und deiner Enge, mit deinen Hoffnungen, den wachen und den längst begrabenen.

Dich ihm überlassen, mit deinen dir vertrauten Menschen, deren Gesichter jetzt vor deinen Augen Kontur gewinnen. Dich ihm überlassen, mit deiner Größe, deiner Kleinheit, mit allem was du bei dir trägst, dem Belastenden und dem Befreienden.

Was dich betrifft, bewegt oder zur Ruhe kommen lässt, es gehört in dieser kommenden Nacht zu dir. Mach dich schon heute auf den Weg durch das Dunkel der Nacht zur Mitte dieser Heiligen Nacht. Lege beiseite was deinen Blick verstellt, was dich betrübt, und lege die Früchte deiner Freude in deine Tasche und geh zur Krippe.

Du findest sie nicht im Trubel, nicht dort wo die meisten Menschen stehen, nicht wo’s am Hellsten zu leuchten scheint. Nein, es ist alles sehr unscheinbar, ein Ort, namenlos und alle Namen tragend, ein Stall, eine Ecke, unter irgendeiner Brücke.

Du findest die Krippe! Kleine Lichter spenden ihr Licht, sie scheinen, als wollten sie Sterne sein. Die Stille, die bis zum Überlaufen angefüllt ist mit Freude und Hoffnung, sie wird dich anziehen. Geh weiter, geh mutig weiter! Die Alten und die Kinder, all die unscheinbaren Gestalten sind schon da! Stell dich zu ihnen!

Ihre Blicke und alles was sie zu sagen in der Lage sind, diese Blicke, die je eine Lebensgeschichte bergen, diese Blicke ganz aufgeschlossener Menschen, trauen ihren Augen. Sie haben den Blick des Kindes gekreuzt, sie haben standgehalten, sich durchblicken lassen. Ihre Blicke sind nun gesammelt in den Augen eines Kindes, den Augen Gottes. In all ihrer Schwachheit, Kleinheit und Menschlichkeit, in all ihrer Größe und Einmaligkeit sind sie in den Blick genommen. Stell dich zu ihnen, stell dich dem Blick eines Kindes!

Keiner hat seine Zelte bei der Krippe aufgeschlagen, sie haben sich „anstecken“ lassen, und was sie dann wieder nach Hause trieb, ist stärker als das Licht ihrer kleinen Lampen. Sie tragen ein neues Licht in ihren Herzen, und ihre Augen können und wollen es nicht verbergen. Und wenn du nun, lieber Freund, zurückkehrst zu denen, mit denen du diese Heilige Nacht feiern möchtest, und wenn ihr euch dann gemeinsam an die schönen alten Zeiten erinnert, und wenn diese Menschen dir dann sagen: Wie früher, unverändert, du seiest ganz der Alte! Dann frage dich, lieber Freund, ob du wirklich an dieser Krippe warst.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 14.12.2003
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