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Was soll die Rede von Spatzen?

„Die Haare auf meinem Kopf, Gott hat sie gezählt. Der Spatz fällt nicht vom Himmel ohne den Willen Gottes.“ Jesus vermittelt mit diesen Worten den Eindruck, als würde vor Gott kein Detail der Welt verborgen sein. Ja, da ist er dieser Gott, der alles „sieht“. Gott wusste also um die Fremdherrschaft der Römer in Jerusalem. Er kannte die Unterschlagungen der Zöllner. Das Geschäft der Huren und die Machenschaften der Händler im Tempel waren ihm auch nicht verborgen. Die arme Witwe, der Aussätzige und die vielen Kranken, sie alle waren ihm bekannt. Gott wusste also Bescheid!

Diese Feststellung koppeln die Menschen heute oft automatisch mit der Frage: „Und warum hat Gott dagegen nichts unternommen?“ Wir gehen heute sofort in die kritische Distanz und ziehen Gott zur Rechenschaft mit Fragen wie: Warum lässt Gott das Unglück zu? Warum hat diese Krankheit mich getroffen? Diese Fragen münden in eine der großen Ungewissheiten christlichen Glaubens, die nach dem Zusammenhang von Gott und Leid. Aber teilen wir mit diesen Fragen auch die heutige Blickrichtung der Botschaft Jesu?

Als Jesus seinen Aposteln von „den Haaren auf dem Kopf und den Spatzen“ erzählte, stellte keiner von ihnen die Frage: Aber wie kann Gott, wenn er doch alles weiß, zulassen dass …? Jesus bereitete seine Apostel gerade darauf vor, allen Menschen, Juden und Heiden von dem Gott zu erzählen, der sich in ihm, Christus „neu“ offenbart. Besonders aber mit Blick auf diese kritischen Adressaten war doch zu befürchten, dass solche Fragen gestellt würden wie: „Warum tut Gott nichts, wenn er doch darum weiß?“ Jesus selbst hatte auch schon am eigenen Leib die kritischen Fragen der Schriftgelehrten gespürt, so bei seinem Besuch im Hause des Zöllners. Also, getraut hätten die sich schon, Jesus und seine Apostel zu hinterfragen. Aber Jesus hat die Apostel trotzdem nicht für die passenden Antworten präpariert. Oder war Kritik vielleicht gar nicht zu erwarten, da alle irgendwie zufrieden waren im Wissen, doch immer noch ein Stück tiefer fallen zu können, und deshalb besser den Mund hielten, um nicht Schlimmeres heraufzubeschwören? Vielleicht waren die Apostel Jesu ja auch schon jenseits von Gut und Böse, fern der Realitäten und schwärmten einfach nur noch für Jesus?

Nein, falsche Spur, andere Richtung. Weder die Apostel, noch die jüdischen Gelehrten noch irgendwelche anderen Zeitgenossen Jesu übersahen, verdrängten oder verniedlichten das Leid um sie herum. Alle lebten auch damals in einer verletzten Schöpfung und wussten darum. Aber sie blickten aus dieser Realität auf Gott nicht als den Sündenbock, sondern als den, der rettet, aufrichtet und heilt. Ihre Frage lautete nicht: Gott, wie konntest du das zulassen? Ihre Frage lautete: „Gott, was setzt du dem entgegen?“ Die Antwort Gottes darauf konnte überzeugender nicht sein: „Mich, in meinem Sohn Jesus Christus. Glaubt mir, vertraut mir!“ Die Botschaft mit den „Haaren und den Spatzen“ lautet: „Mensch, vertrau darauf, dass nichts verloren gehen wird.“ Vertrauen ist hier Thema! Vertrauen trägt aber nur dann, wenn wir Welt und Himmel als eine reale und gleichzeitig zu erhoffende Lebenseinheit verstehen und leben, nicht aber die Welt als ein unumgängliches Jammertal und den Himmel als Befreiung am Nimmerleinstag. Welt ist umgeben vom Himmel, der schön, aber nicht „gleichmäßig“ in unsere Welt, unsere Gesellschaft, unser Leben hineinscheint.

Und, wir fragen trotzdem: „Gott, warum gibt es Leid in dieser Welt?“ Diese Frage kann nur jenseits des Paradieses und jenseits des Himmels gestellt werden, findet aber keine zufrieden stellende Antwort. Allerdings ist das Leben auch nur da zu haben, wo diese Frage nach dem Leid gestellt werden kann, eben da, wo das Paradies nicht mehr und der Himmel noch nicht ist.
Wir werden keine Antwort auf die Frage finden, warum es Gott und das Leid in unserer Welt gibt. Konsequenz: Sich von Gott verabschieden? Dann allerdings bleibt nur das Leid zurück. Sich verabschieden vom Leid grundsätzlich, dann aber auch vom Leben. Oder aber wir stemmen uns mit Gott zumindest gegen das durch den Menschen verursachte Leid.

Erschienen in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 19.06.2005
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