Erinnerung: Dieser blöde Zettel, Beispiel preußischer Genauigkeit, den ich schweißgebadet und total verunsichert damals, an diesem Donnerstag vor dem „schönsten Tag in meinem Leben“ in Händen hielt. Aber so einfach nur cool hielt ich, hielten wir damals nicht diese Auflistung unserer (angenommenen) Sünden in Händen, vielmehr verteidigten wir sie vor den Begehrlichkeiten der stärkeren „Beichtkollegen“.
Nicht selten machten sich diese vermeintlich Stärkeren eine Freude daraus, dem Schwächsten kurz bevor er den Beichtstuhl erreichte seinen Zettel noch abzujagen, um dann die dort aufgeführten Sünden allen Kommunionkindern genüsslich zu präsentieren, die ihrerseits erleichtert waren nicht selbst Opfer des „Sündenklaus“ geworden zu sein.
Wirklich sicher vor dem „Zettelraub“ war man erst im Beichtstuhl, aber genau dort kamen neue Probleme auf den jugendlichen Pönitenten zu.
Relativ unproblematisch war die Beichte dann, wenn auf dem Beichtzettel der Mist stand den ich auch tatsächlich gemacht hatte.
Also: Als Kinder zankten wir uns, waren ungehorsam, hatten Freude an Süßem und mit den Hausaufgaben haben wir es auch nicht immer ganz ernst genommen. Geklaut? Stimmt, haben wir, habe auch ich.
Aber jede Woche aufs Neue beichtfähige Fehler gemacht zu haben, die Gott zutiefst verletzten, da konnten wir nicht regelmäßig mithalten, so „schlecht“ waren wir, war auch ich damals nicht.
Somit fanden sich auch auf meinem Beichtzettel „Sünden“ wieder, die ich gar nicht begangen hatte. Aber irgendwas musste ich dem Pfarrer beichten, damit er mir im Namen Gottes ´was zu vergeben hatte.
Es mag nun dumm klingen, aber als Kind habe ich nicht verstanden, warum der große Gott durch die Verfehlungen der Kinder so aus dem Häuschen zu bringen war und ich ihn nur mit größter Anstrengung – Beichte in Sündenbekenntnis, Reue, Buße und Bereitschaft zur guten Tat – und priesterlicher Hilfe beruhigen konnte? Ich bin wohl eines der Kinder der 70er, denen nachhaltig nicht mehr vermittelt wurde als die Schwere der persönlichen Sündenlast und deren „Entledigung“, sprich Beichte. Die Botschaft des heutigen Evangeliums ist in meiner Kindheit auf der Strecke geblieben:
„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet…“
Als Kind hätte ich mich damals mit dieser Botschaft auf der sicheren Seite gewusst, denn mein Kinderglaube war durch nichts zu erschüttern, bedingungslos und kindlich real.
In der Liturgie zum Beispiel tat ich als Messdiener alles für ihn, aber auch in der verbandlichen Jugendarbeit Verantwortung zu übernehmen war für mich damals ein „Gottesdienst“ in dem ich, zugegeben, auch Anerkennung erfuhr. – Aktuell!
Die Botschaft Gottes am heutigen Fastensonntag lautet: Geliebter Mensch, du musst mich, deinen Gott nicht gnädig stimmen. Versuche nicht mich von dir zu überzeugen oder gar dich vor mir zu profilieren. Denn erinnere dich: „Ich, dein Gott, ich habe mich schon längst für dich entschieden!“
Heute, als Erwachsener, kommen mir angesichts meiner Enge, meines Fehlverhaltens und somit meiner Sündhaftigkeit die Tränen, wenn ich in meinen Worten diese Liebeserklärung Gottes wiederholend flüstere: „Ich, dein Gott, ich habe mich schon längst für dich entschieden!“ Einzig die Tatsache, dass Gott sich für uns entschieden hat, läst uns nackt dastehen, wenn wir wieder einmal unser Handeln haben bestimmen lassen von Egoismus, Habsucht, Selbstherrlichkeit, Macht, Gewalt und Lüge. Kurz: Wenn wir wieder einmal vergessen, verdrängen, verschweigen, unterschlagen haben bei unserem Namen eine Gabe Gottes zu sein, auch Du!
Er hieß Jürgen, ich war Kaplan, Samstag, er in „meinem“ Beichtstuhl, in Gesprächen was es heißt, „von Gott geliebt zu sein“, waren wir ein Stück gemeinsam auf dem Weg, bis er in diesem Beichtgespräch sagte: Christoph, du Priester. Und nun wollte er „allein, nackt“ vor Gott stehen.
„Ego te absolvo“, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es war in meinen Worten, fast gestammelt, die Botschaft Gottes, die einen jungen Mann, ich nenne ihn mal Jürgen, glücklich machten.