Alle besonderen Erlebnisse, ob wunderschön oder einschneidend beängstigend graben sich entsprechend ihres Gewichtes in unserer Erinnerung nachhaltig ein.
Sagt Ihnen das noch was: Erste Freundin oder erster Freund? Auch Scheitern, Existenzangst, Krankheit, Verlust sowie die Sternstunden unserer Freude hinterlassen Kerben in unserer Erinnerung. Bezogen auf große Ereignisse, die aber noch gar nicht die Möglichkeit gehabt haben zur Erinnerung zu gerinnen, ist folgende Redensart vertraut: „Das geht mir unter die Haut“.
Berührung, die tiefer greift als von der Haut nur abzuperlen, geht eben unter der Haut in „Mark und Bein“. Auch Heiligtümer sind ungezählten Pilgerinnen und Pilgern in der Vergangenheit schon unter die Haut gegangen, oft als wundersamer Schauer, vielleicht sogar sichtbar als Gänsehaut. Sich bewegen lassen, bewegt werden, in Bewegung kommen, geht dem Erleben voraus, das unter die Haut gehend wiederum bewegt.
Wallfahrten zu den Heiligtümern in unserem Bistum bedeutet, sich bewegen zu lassen, anders gesagt, zu tanzen zwischen Berührung und Erinnerung: Von der Berührung zur Erinnerung und wieder zur Berührung. Ein Heiligtum, wie das in Mönchengladbach verehrte Abendmahlstuch, weckt Erinnerung an das Liebesmahl Jesu, das er mit seinen Jüngern vor seiner Passion gefeiert hat. Diese Erinnerung jedoch kann neu unter die Haut gehen und so uns wieder berühren.
Leg dich mir um
Im Spüren
etwas berühren
das über das Spüren
hinaus
mich umgibt
bist Du.
Nicht Stoffe sind
mein Ziel
nicht heiliger Ort.
Du,
leg Du dich mir um,
auf meinem Weg,
der ist mein Leben,
Gott!
Erinnerung greift zurück auf Berührung. Was uns wirklich einmal berührt hat, ist erinnerungswürdig. Heiligtümer sind Berührungen – Impulse -, die durch sich selbst hindurch auf das verweisen, an das wir uns anlässlich ihrer Anschauung erinnern können und wollen. Wer keine Erinnerung an Jesus Christus hat, also von ihm und seiner Botschaft nichts an sich herankommen lassen wollte, konnte oder durfte, also nicht berührt wurde, der sieht in den Exponaten der Heiligtumsfahrten nur Gegenstände, die Anlass zu Spekulationen geben können, aber nicht die Qualität haben, unter die Haut zu gehen.
Was den Menschen berührt, das wertschätzt er aber auch. Heilige Orte – Orte der Heiligenverehrung – sind kommunikative Schnittpunkte der Berührung zwischen Himmel und Erde, an denen der Mensch diese Erfahrungen wertschätzt. Beispielsweise kann auch der Friedhof ein ähnlicher Ort der Wertschätzung sein, wenn an ihm die Berührung Erinnerung und die Erinnerung Berührung zulassen. Auch Heiligtümer und Reliquien sind „wahr – haftig“, da sie sehr konzentriert berühren und erinnern.
So haften ihnen auch keine magischen Kräfte oder wundersame Geheimnisse an, die könnten ihnen höchstens von außen angeheftet werden. Das Ereignis, das unter die Haut gehen will, ergibt sich auf den Betroffenen, den Berührten hin, der den Impuls, das Heiligtum, bei sich ankommen lässt, um sich berühren zu lassen, was wiederum bewegt. Nur so bleibt im tiefsten Sinne des Wortes auch noch Spielraum für den Geist Gottes.
Er ist es, der die Tanzenden zwischen Berührung und Erinnerung anrufen will, wieder, mehr, neu zu entdecken.