Es wirkt fast wie eine Inszenierung, und in unseren Köpfen haben wir auch das Bühnenbild dafür parat, welches oft seit Kindertagen mit dieser Bibelstelle verknüpft ist.
Die große Szene ist eigentlich schon selbst ein aus Worten gemahltes Bild: „Der Einzug Jesu in Jerusalem“. Dass diese „Inszenierung“ sich weiter entwickeln wird zum Drama und Desaster ist uns bekannt, und mit diesem Palmsonntag lassen wir uns wieder neu ein auf dieses Martyrium und Mysterium Jesu, es bedenkend und feiernd in Wort, Bild, und Geste.
Aber nun die Ereignisse in Kürze:
Jerusalem erlebte den Besuch eines Stars. Einige Bewohner wissen schon Bescheid, Jesus ist der Sohn Davids, der Retter und Erlöser. Andere müssen sich noch informieren lassen. Wer ist dieser Jesus eigentlich, fragen sie. Die Antwort: Der Retter, unser Erlöser. Schnell wird Jesus zum Hoffnungsträger vieler Bewohner Jerusalems. Sie rotten sich zusammen, jubeln, tanzen und sind voller Erwartung. Palmzweige werden abgerissen und Kleider auf dem Boden liegend werden zum „Roten Teppich“ für ihr Idol. Jesus zieht durch das Spalier der Bewohner hindurch, die ihre Hoffnungen fast magisch an ihn heften: „Du wirst uns von der Fremdherrschaft der Römer befreien, du bist die Erfüllung unserer Visionen, du führst uns in die Erlösung“. Die Luft bebt von Jubel, Freudenrufen und Sympathieausbrüchen.
Dieselbe Luft wird wenige Tage später wieder beben aber nun von Buh-Rufen, den Schreien nach Vernichtung, den Verleugnungen und dem gierigen Gebrüll: „Kreuzigt ihn!“ Aus Begeisterung wurde tödlicher Hass. Warum? Enttäuschte Hoffnung ist der Grund, die Enttäuschung einer auf Jesus projizierten Sehnsucht.
Die Bewohner wollten und konnten vielleicht auch nicht begreifen, dass der Weg ihres Superstars anders verlaufen sollte als sie sich das vorgestellt hatten. Sie „stellten“ sich einen Jesus vor, der ihren Vorstellungen von Befreiung entsprach. Einen Jesus, der ins politische Tagesgeschäft eingreift, der den Machthabern ihre Grenzen aufzeigte und der schonungslos die fremde Macht rausschmiss. Doch die Botschaft Jesus ist damals wie heute nicht der Erfüllungsgehilfe irgendwelcher Vorstellungen die zum Ziel haben, auf andere Menschen einzuwirken, sie gefügig zu machen. Die Botschaft Jesu ist nicht das Werkzeug, das hilft, über andere zu jubeln, sie zu beherrschen oder ihren Untergang zu beklatschen. Die Botschaft Jesu hat nur ein Ziel: Den Menschen an sich. Jesus deckt mit seinen Gleichnisreden und in seinen Beziehungen zu Menschen schonungslos all das auf, was mich selbst daran hindert, ein wirklich befreites Leben zu führen. Das Leben Jesu ist die Provokation schlechthin, die meine Wünsche und Sehnsüchte da enttarnt, wo sie von reiner Selbstsucht getragen und nur auf Kosten anderer zu verwirklichen sind.
Letzten Endes erschüttert er das von mir gelebte Leben in seiner Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit durch den eindeutigen Verweis: Unser Leben ist und bleibt ein Geschenk Gottes, das uns nur anvertraut ist und das wir selbst in die Hand nehmen müssen, das wir verantwortlich gestalten müssen, mit Blick auf Gott und die Mitmenschen.
Wer diese sanfte und deutliche Enttarnung unserer „Art zu Leben“ durch Jesu Handeln nicht zulassen will oder kann, der muss ihn ablehnen. Wer die Provokation durch Jesus, die uns herausruft aus den Verkrustungen unseres eigenen Lebens als Ballast empfindet, der kann ihn nur totschweigen. Falsche Sehnsüchte an Jesus geknüpft, führen zur Enttäuschung und enden in der Ablehnung. Die Sehnsucht, die Jesus selbst in uns wecken und erfüllen möchte, ist die Sehnsucht nach unserem Leben, das befreit ist von der Angst um sich selbst.