Faxbox-Predigt zum 3. Advent 1997
In den Jahren ab 1945, also nach Ende des 2. Weltkrieges, begannen sie das Licht der Welt zu sehen, diese Nachkriegskinder von denen viel in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren den Namen Blumenkinder bekommen sollten.
Für viele ihrer Eltern waren diese Blumenkinder einfach nur ein Graus, diese langhaarigen Jugendlichen, die ja nichts anderes taten als herumzugammeln oder gegen die eigenen Eltern oder den Vietnamkrieg zu rebellieren. Gekleidet waren sie oft in orange viel zu knapp bemessenen Pullis und Blusen und dazu passend grasgrüne Hosen, oben knatscheng und unten hatte der Schlag Schuhlänge. Nicht zu vergessen, die überdimensionalen Sohlen und Absätze ihrer Schuhe. So gingen sie in die Geschichte ein, wild tanzend mit Sonnenblumen im Mund oder in den Händen, jede Autorität und Führung grundsätzlich ablehnend. In diesem Zusammenhang kommt uns schnell der etwas unscharfe Begriff der antiautoritäre Erziehung in den Sinn. Zu diesem grob geschnitzten Bild der Blumenkinder gehört dann auch noch das Haschpfeifchen und die permanente Unterstellung, die Blumenkinder seien sexuell viel zu freizügig.
Einigen von uns werden nun leicht verschwommene Bilder durch den Kopf gehen. Sind es vielleicht Bilder der eigenen Kinder aus deren Jugendjahren oder sind es sogar Bilder der eigenen Jugend.
Doch warum ausgerechnet heute, am 3. Adventssonntag, dieses Thema „Blumenkinder längst vergangener Zeiten“. Soll Ihnen nun im Kollektiv und meist im voraus zum 50. Geburtstag gratuliert werden oder sollen Sie schon mal vorgewarnt werden, dass die Kiddies unserer Zeit Sie mittlerweile gelangweilt Grufties oder Komposties nennen? Oder gilt es die kritischen Anfragen fortzuschreiben, die in den vergangenen Tagen in der Presse zu lesen waren unter der Überschrift: „Vom Blumenkind zum komischen alten Kauz“, ein Artikel in dem unter anderem kein geringerer als dem heutigen amerikanischen Präsidenten, ein ehemaliges Blumenkind, stellvertretend für alle anderen gesagt wird, er habe noch immer zu große Ideale, aber keine Führungskraft! Nein!
Diese Kritik lasse ich dahingestellt, denn es geht mir um etwas anderes. Deshalb schauen wir uns noch einmal kurz diese Jugend der sechziger und siebziger Jahre an, denn eines habe ich noch nicht über sie erwähnt. Viele von diesen Blumenkindern hatten neben ihrem markanten Erscheinungsbild auch eine Lieblingsgestalt, die sie gemeinsam auf ihre Fahne hefteten: den Menschen Jesus von Nazareth.
Sie kombinierten den biblischen Jesus mit ihrer Vorstellung von einem Friedensbringer und sprachen so von ihrem „Jesus“ (englisch) und von Peace. Ihr Jesus streichelte die Kornfelder, lag mit ihnen auf der Wiese und schaute den Wolken nach. Jeder Mensch wurde mit einem Peace versehen: Peace Bruder und Peace Schwester. So wurde Jesus zu dem Softie, der alles und jeden umarmte, zum lieben Freund, zum harmlosen Hippie in Jesuslatschen, eben zu ihrer Lieblingsgestalt der Geschichte.
Was Lieblingsgestalten der Geschichte angeht, so gibt es auch in unserer Zeit, quer durch die Generationen, eine interessante Überraschung. Ungeachtet all der Kirchenaustritte und der weiter schrumpfenden Zahlen von Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, geben auffallend viele Menschen im Rahmen von Befragungen auf die Frage nach ihrer Lieblingsgestalt in der Geschichte folgende Antwort: Jesus von Nazareth! Bei näherem Hinschauen entpuppt sich der Jesus vom Nazareth in der Vorstellung der Befragten als harmloser Liebling, als ein Jesus zum ankuscheln, ähnlich also wie der Jesus der Blumenkinder.
Ist das der ganze Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes? Erlauben wir uns doch einfach mal die Frage: Hatte Jesus selbst eine Lieblingsgestalt der Geschichte? Ein Blick in das Evangelium des heutigen Tages hilft uns da weiter. Jesus beschreibt seine „Lieblingsgestalt“ der Geschichte: Johannes der Täufer! Dieser Johannes ist nicht das Schilfrohr, das mit dem Wind schwankt. Johannes ist nicht der Typ, der die Fahne in den Wind seiner Zeitgenossen hängt. Er ist nicht der Schlüssel zu den besseren Kreisen der Gesellschaft seiner Zeit.
Dieser Johannes ist nicht praktisch handhabbar, kompatibel mit all dem was die Menschen gerne hätten und dazu auch noch pflegeleicht. Sie ist eben nicht zum knuddeln, diese Lieblingsgestalt Jesu.
Johannes ist ein Mann mit Ecken und Kanten, der auch uns zur Umkehr, zur Erneuerung, zur Bewegung aufruft. Wenn nun Jesus wirklich so harmlos ist wie viele ihn sehen, hätte dann nicht besser der liebe Gott einen smarteren Johannes zum Rufer in der Wüste gemacht, wenn er einem Softie Jesus den Weg bereiten soll? Dieser Johannes war schon der Richtige, denn genauer betrachtet kam ja auch kein harmloser Jesus.
Es kam ein Jesus, der die Menschen entdeckte, die am Rande der Gesellschaft vor Einsamkeit innerlich verbrannten. Auf sie ging er zu, auf die Blinden und Lahmen, berührte sie, führte sie an Orte des Leben zurück, mitten unter die anderen Menschen und heilte sie.
Jesus brach Tabus, als er auf die Aussätzigen, die ausgesetzten Menschen, zuging und ihnen einen neuen Lebensraum gab, mitten unter den anderen Menschen, fern jeder Ausgrenzung und heilte sie.
Den armen Menschen, den Bettlerinnen und Bettlern, sagte Jesus: Ich komme besonders zu Euch, glaubt an mich und ihr werdet einen unbezahlbaren Reichtum in Euren Herzen haben, und dann forderte er die umstehenden Menschen auf, den Armen zu essen zu geben.
Weiter wendete er seine Botschaft an alle Menschen, die zu hören bereit waren: Haltet nicht krampfhaft an Äußerlichkeiten fest, am Besitzen, am Status, am Ansehen und an der Macht! Als nackte Menschen seid ihr so unendlich wertvoll, dass kein Tod Euch das Leben nehmen kann. Habt also keine Angst um Euch selbst.
Auch heute ist Jesus immer noch nicht harmlos:
Heute nimmt Jesus eine Pennerin in den Arm, begleitet sie durch die Fußgängerzone unserer Städte und sagt zu ihr, ich möchte bei Dir Gast sein.
Heute berührt Jesus einen Fließbandarbeiter und gleichermaßen eine Managerin und bittet diese Menschen: Erzähle mir, was Du in dieser Welt siehst, sag‘ mir Deine Sehnsucht, zeig mir worauf Du stolz bist, vertraue mir an, was Dich traurig macht!
Heute geht Jesus auf einen Rollstuhlfahrer zu und bittet ihn: Tanze mit mir!
Heute sucht Jesus die Begegnung mit einem Schwulen und fragt ihn: Darf ich Dich einfach ein Stück Deines Weges begleiten.
Heute geht Jesus an das Krankenbett, stellt einen Stuhl dorthin und sagt: Ich habe Zeit, hast Du auch Zeit, dann lass‘ uns unsere Zeit miteinander teilen!
Heute wendet sich Jesus mit seiner Botschaft an alle Menschen, die zu hören bereit sind: Haltet nicht krampfhaft an Äußerlichkeiten fest, am Besitzen, am Status, am Ansehen und der Macht! Als nackte Menschen seid Ihr so unendlich wertvoll, dass kein Tod Euch das Leben nehmen kann. Habt also keine Angst um Euch selbst.
Zu diesem Jesus passt ein klarer und deutlicher Vorbote wie es Johannes es war, ein solcher Jesus ist damals wie heute bei aller Güte nicht harmlos oder kuschelig.
In diesem Advent sind wir wieder einmal eingeladen, einen solchen Jesus bei uns ganz ankommen zu lassen, ihm einen Weg in unser Leben hinein zu bereiten. Bereiten wir uns gemeinsam auf diesen Jesus vor, der große Ideale hat und die Kraft, Menschen zu leiten, dieser Jesus, der die Kornfelder streichelt und klare Positionen bezieht, dieser Jesus, der sanftmütig und liebenswert ist und trotzdem ein Stachel in unserem Fleisch ist.
Dieser Jesus kommt an, wo Menschen noch etwas erwarten, dieser Jesus von dem wir sagen dürfen, so sinnlich und sanft kann Stärke sein.
Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.