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Eine Nachricht – jeden Tag dieselbe neu

Fragment zur Kar- und Osterwoche 1999 (Faxbox-Predigt)

„Gestern standen wir noch vor dem Abgrund, heute sind wir ein entscheidendes Stück weiter.“

So lautet eine Redensart, die in ihrer Interpretation wesentlichen Spielraum lässt, ob das „entscheidende Stück weiter“ nun bedeutet den Abgrund hinunter gefallen zu sein oder festeren Boden unter den Füßen zu haben.

Mit Blick auf die sich immer wiederholenden politischen Ereignisse in unserem Land ist so mancher Bundesrepublikaner der Meinung, dass es momentan wieder einmal nur eine Richtung der Interpretation dieser Redensart geben kann: Minister stürzen mit unter schon nach wenigen Wochen ihrer Amtszeit schlicht und ergreifend ab. Wahlkampfzusagen wie z. B Atomaustritt, Gleichberechtigung, mehr Umweltschutz und weiter greifende Rechte und mehr Schutz für Kinder und Jugendliche gehen nach gewonnener Wahl sehr schnell den Bach runter. Angekündigte Steuerreformen verlieren beim Regieren schnell an Gewicht und gehen wie so vieles andere auch den Weg alles irdischen. Die Hoffnung auf eine solide und vertrauensvolle Koalititionsarbeit in der Regierung, immer unfreiwillig gewollt, findet sich oft sehr schnell im freien Fall nach unten begriffen.

Die einen fühlen alle ihre Befürchtungen, bezogen auf die momentane Regierung bestätigt, hängt doch ihr politisches Fähnchen woanders, andere jedoch sind enttäuscht, so manche ihrer Hoffnungen sind zerbrochen! Allen gemeinsam ist allerdings das Gefühl in puncto Versprechen bisher einer endgültigen Täuschung erlegen zu sein. Da wurden Versprechungen gemacht, die in weiten Teilen nicht eingelöst wurden und in Folge dessen macht sich Ent-täuschung breit. Es wäre allerdings eine grobe Täuschung, würden wir nur diese momentane Regierung mit dem Vorwurf konfrontieren enttäuscht zu haben. Das hatten bisher alle Regierungen sich vorzuwerfen, die eine mehr andere weniger!

Das Prinzip, das hier wieder einmal zum tragen kommt, ist einfach: Um so höher die Versprechen sind, desto tiefer kann die Enttäuschung gehen. Was bei diesem Prinzip kritisch mitbedacht werden muss, ist die Gefahr, dass wir in so manches Versprechen mehr hinein deuten, als das Versprechen vorzugeben angab.

Nun ist dieses Verhältnis zwischen Versprechen und Ent-täuschung keine ausschließliche Erscheinung unseres Jahrhunderts. Schon zur Zeit Jesu gehörte dieses Prinzip zur Tagesordnung, wie uns die Bibel an manchen Stellen nahe bringt. So das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem: Noch ist der Jubel groß! „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“ Eine ganze Stadt ist in Aufregung, da sind Menschen, die fragen: „Wer ist das?“ Und andere, die wissen: „Das ist der Prophet Jesus von Nazareth in Galiläa!“

Es scheint kaum einen zu stören, und am wenigsten die Vertrauten Jesu, dass ihr Messias auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Der Mann, der für Veränderung steht, dem sogar politische Umwälzungen zugetraut werden, sitzt auf einem kleinen Esel und alles klatscht. Dieses bewusst von Jesus gesetzte Zeichen, auf einem Esel sitzend die Qualität seines Machtverständnisses anzudeuten, hätte zum Nachdenken anregen müssen aber die Menschen waren blind, sie haben nur gesehen, was sie sehen wollten.

Der weitere Weg Jesu entpuppt sich aus der Sicht seiner Begleiter immer mehr zu einer Aneinanderreihung von Enttäuschungen, die vorläufig in der Jesus-Aussage gipfelten: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, um dann in die Ent-täuschung des Kreuzes zu münden. So mancher Zeitgenosse Jesu wird sich gefragt haben, ob dieser „König der Juden“ ein Mann falscher Versprechungen war. Das Gelächter der Spötter unter dem Kreuz war für manchen ein Indiz der falschen Versprechungen Jesu: „Wenn du der Sohn Gottes bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz!“ Unter demselben Kreuz standen auch Menschen, die zutiefst hofften, möge er jetzt doch von diesem Kreuz herabsteigen. Nur den Spöttern blieb vordergründig die Enttäuschung erspart. Den Hoffenden blieb nur das Kreuz.

War Jesus der Mann falscher Versprechungen?
Ist Jesus auch heute der Mann falscher Versprechungen?

Die Feier des Palmsonntags, die Feier der Eucharistie und der österlichen Tage legen uns schnell, in unserer gläubigen Gewissheit, die Antwort in den Mund: „Nein, Jesus hat sein Versprechen todernst gemeint und es gehalten, wir feiern Tod und Auferstehung!“ Ja, das ist der Kern unseres gemeinsamen Bekenntnisses. Aber der Palmsonntag läutet auch die Kar- und Ostertage ein als eine Zeit, die uns immer neu die Augen öffnen will, damit wir in die Versprechungen Jesu nicht mehr hinein interpretieren, als Jesus uns versprochen hat. Er verspricht uns Anteil an seinem Leben und das bedeutet Zukunft für uns.

Er verspricht uns, dass er der Weg zum Leben ist und das bedeutet für uns unsichere Wege zu gehen.

Wir interpretieren sein Versprechen falsch, wenn wir uns den Straßenrand aussuchen und mit den Jublern jubeln.

Sein Versprechen richtig interpretieren bedeutet: Wir gehen mitten auf dem Weg und sind nicht gefeit vor Pöbeleien, massiven Anfragen und Selbstzweifeln.

Wir gehen mitten auf dem Weg und können uns nicht verstecken vor Not, Elend, Traurigkeit und Verzweiflung.

Wir gehen mitten auf dem Weg und werden unsere Grenzen spüren, unsere Fähigkeiten und Talente probieren, und manchmal auch die Erfahrung machen, einfach nur allein zu sein!

Wir gehen mitten auf dem Weg und werden Hilfe, Solidarität, Respekt, Sinnerfahrung und Freude begegnen.

Wir gehen mitten auf dem Weg und eines Tages wird uns unser eigener Tod entgegenkommen. Wenn er uns dann eingeholt hat, werden wir wissen, ob wir wirklich auf dem Weg des Lebens waren. Und wenn sich dann alles doch nur als eine Enttäuschung, als ein falsches Versprechen entpuppt, dann wird trotzdem vielen Menschen nach uns die Gewissheit bleiben: Dieser Weg ist sinnvoll, der einzig sinnvolle Weg durch diese Welt.

Glauben heißt, nicht wissen und trotzdem diesen Weg gehen. Nur so sind wir selbst ein glaubwürdiges Versprechen und keine Ent-täuschung.

Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.

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