Faxbox-Predigt vom 15.12.1999
Das Evangelium des heutigen Adventsonntages sind für die meisten von uns sehr vertraute Worte. Der Engel Gottes sucht den Dialog mit einer Frau namens Maria. Schon die Tatsache, dass ein Engel in Gottes Auftrag eine solche kommunikative Nähe zu dieser Frau aufnimmt, zeichnet Maria besonders aus. „Du bist gebenedeit“ sagt der Engel zu Maria und meint nicht nur, du bist begnadet, Maria, sondern hinter diesem alten Begriff „gebenedeit“ steht auch: Der Segen Gottes ruht auf dir, du bist von Gottes Lob umgeben, Gott sucht besondere Nähe zu dir.
Maria ist überrascht von einer solchen Ansprache, verständlich, wer von uns wäre das nicht! Nachdem nun der Engel konkreter wird und von dieser besonderen Geburt voraussehend berichtet, hat Maria nur noch eine fast lapidar klingende Frage: „Wie soll das geschehen, da ich doch keinen Mann erkenne!“. Nun alle Zweifel ausräumend, antwortet der göttliche Bote mit Querverweis auf Elisabeth, eine Verwandte Marias: „Der Geist Gottes wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten!“. Das scheint Maria nun zu genügen, um die folgenschwerste Entscheidung ihres Lebens zu treffen: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe wie du gesagt hast!“. Nun allerdings hat Maria ein echtes Problem und das übersehen wir oft auf dem Hintergrund dieses vertrauten, lieblich anmutenden Textes. Das Problem dieser Maria ist eindeutig: Was werden die Leute sagen? Der Grund für dieses Problem: Gesellschaftlich bedingte Ignoranz! Mit dieser so simpel klingenden Antwort auf die Aussagen eines Engels: „Ich bin die Magd des Herrn“, handelt sich Maria in der damaligen Zeit gesellschaftliche Diskriminierung ein. Eine Frau mit Kind, außerhalb einer legitimierten Ehe, ist gesellschaftlich betrachtet anrüchig, lässt Spekulationen zu und kann zu allgemeiner Ächtung führen. Wie soll Maria das erklären: Ein Kind im Arm, ohne den entsprechend anerkannten Mann, nur von Gott gewollt und somit einfach da!?
Diese Verkündigungsszene offenbart einen provozierenden Gott. Er mutet Maria einiges zu, sogar den Ausschluß aus der Gesellschaft. Diese Zumutung übersehen wir oft vor dem Bild der Krippe mit Maria, Josef, der nicht der Vater ist, und dem Kind göttlichen Ursprungs. Gott ist Provokateur, er provoziert, ruft heraus aus den behaglichen Übereinkünften einer Mehrheit der Gesellschaft und schafft neue Fakten. Deshalb hat Maria ein Problem.
Scheinbar kein Problem hatten die Delegierten des kleinen Parteitages der CDU in Berlin am vergangenen Montag, als sie – im Dunkeln sitzend – mit großer Mehrheit einen Antrag zu „familienpolitischen Grundsätzen“ ihrer Partei verabschiedeten mit dem Titel „Lust auf Familie, Lust auf Verantwortung“.
Dieser Beschluß dürfte wohl nicht allen in unserer Gesellschaft schmecken, da er auch positiv von homosexuellen Lebensgemeinschaften spricht, wie andere Parteien auch. Die Richtung ist allerdings klar: Die „auf Dauer angelegte Ehe“ sei die beste. Grundlage dafür, dass Mütter und Väter partnerschaftlich füreinander und für ihre Kinder Verantwortung übernehmen. Doch auch die gleichgeschlechtlichen Beziehungen seien Orte, so der Beschluß, in denen „Werte gelebt werden können, die grundlegend sind für unsere Gesellschaft“. Nochmals, dieser Beschluß lässt keine Zweifel an der Präferenz der Familie im herkömmlichen Sinne, aber nimmt auch etwas anderes wahr, die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen und deren Sehnsucht deshalb gesellschaftlich nicht mehr diskriminiert zu sein.
Hier mag mancher von uns heute den Kopf schütteln. Ähnlich wie damals mancher den Kopf geschüttelt hat als Maria „das Kind ohne Vater“ auf dem Arm trug. Und nun mag mancher noch verärgerter sein über diesen Vergleich: Wie kann man nur die zweifellos potentielle Diskriminierung der Gottesmutter in ihrer damaligen, unwissenden Gesellschaft vergleichen mit der Diskriminierung homosexuell fühlender Menschen, die zu allem Überfluss auch noch ihre homosexuelle Beziehung von unserer Gesellschaft gewertschätzt haben wollen und dies nun auch scheinbar ein Stück mehr erreicht haben!
Aus einem Gespräch zwischen einer tief gläubigen und kirchlich engagierten älteren Frau und einem Priester: „Wissen Sie Herr Kaplan, mein Sohn ist homosexuell und mir ist klar: Ich habe ihn so nicht gemacht, er hat sich so nicht gemacht, also hat ihn Gott so gemacht!“
Beruhigt eine solche Aussage, wenn sie denn überhaupt gehört wird, die aufgescheuchten Gemüter? Wahrscheinlich eher weniger! Aber eine solche begnadete Erkenntnis will gar nicht beruhigen, sie will entlarven und somit provozieren, herausrufen! Diese einfache und begnadete Aussage dieser älteren Frau will all jene herausrufen, die in dem selbst gewählten Gefängnis ihrer Selbstherrlichkeit sitzen und aus der Distanz heraus sich das Recht nehmen das Leben der Menschen einzuteilen in gewollt und nicht gewollt, und somit in von Gott gewollt und von Gott nicht gewollt.
Es muss die Frage erlaubt sein: Wem tut eigentlich ein Mensch weh, der sich als ein homosexuell empfindender Mensch vorfindet, nicht selbst gemacht, sondern vorfindet, so bin ich? Tut er einem von uns weh? Wem tut eigentlich ein homosexuell empfindender Mensch weh, wenn er einem anderen, genauso empfindenden Menschen, begegnet, ihn lieben lernt und mit ihm eine gemeinsame Zukunft, aus Liebe gewachsen, haben möchte? Tut er einem von uns weh?
Maria hatte sicherlich einen Spießrutenlauf mit ihrem unehelichen Kind hinter sich, angeeckt und verurteilt in und von einer Gesellschaft, die erst viel später real im Glauben erkannte, was wir in wenigen Tagen im Bild der Krippe sehen: Die Harmonie von Maria, Josef und dem Kind. Gott mutete diesen Weg Maria zu, zu dem sie selber ja gesagt hat, sicherlich nicht genau wissend, was auf sie zukommt um uns Menschen heilendes und geheiltes Leben zu schenken, das nur eine Maxime kennt: Lieben und geliebt werden. Darum trägt auch unser Weihnachtsfest, das uns in wenigen Tagen provozierend erwartet, den Beinamen: Das Fest der Liebe.
Für wie viele Menschen wäre diese Weihnacht ein Fest der Menschwerdung, wenn sie endlich vor sich und in unserer Gesellschaft zu dem stehen könnte was sie oft noch zwanghaft verbergen müssen, homosexuell zu sein. Für wie viele Menschen wäre diese Weihnacht ein Fest der Menschwerdung, wenn sie nicht mehr Rechenschaft abgeben müssen, gleichgeschlechtlich zu lieben, leben zu wollen, um so das Geschenk ihres Lebens anzunehmen.
Gegen jedes Wenn und Aber folgte Maria ihrem Gefühl, auf der Seite des Lebens zu stehen, so wie Gott es ihr geschenkt hat und sagte: „Mir geschehe …“
Dieses Kind, Sohn der Maria, folgte konsequent seiner göttlichen Botschaft: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt“ und wurde erschlagen durch ein Kreuz, geführt von Menschenhand. Die Menschenhand, die auch bis heute sich über alles erhebt und zum Richter macht über das Leben anderer Menschen und entscheidet, welches Gott zu gefallen hat und welches Leben ihm zu missfallen hat! Ist denn Gottes Liebesgebot der Selbst- und Nächstenliebe verhandelbar?
Nein! Da, wo wir unsere Hand erheben für den grundsätzlichen Schutz des ungeborenen Lebens, damit die Sehnsucht zu leben und zu lieben eine Zukunft hat, da klingt die weihnachtliche Melodie göttlichen Lebens.
Da, wo wir unsere Hände erheben für eine gerechte Umwelt, in der Kinder und junge Erwachsene mit fairen Chancen aufwachsen können, damit die Sehnsucht zu leben und zu lieben eine Zukunft hat, da klingt die weihnachtliche Melodie göttlichen Lebens.
Da, wo wir unsere Hände erheben für den Schutz der Familie, damit die Sehnsucht zu leben und zu lieben eine Zukunft hat, da klingt die weihnachtliche Melodie göttlichen Lebens.
Da, wo wir unsere Hände erheben für die älter werdenden Menschen, damit sie in Würde und Geborgenheit ihr Alter gestalten können, damit die Sehnsucht zu leben und zu lieben eine Zukunft hat, da klingt die weihnachtliche Melodie göttlichen Lebens.
Aber wo sind die Hände, die sich erheben mit und für die homosexuellen Menschen, gegen ihre Diskriminierung, damit ihre Sehnsucht zu leben und zu lieben eine Zukunft hat? Auch für sie klingt die weihnachtliche Melodie göttlichen Lebens, allerdings oft nur mit einer Stimme, der Stimme Gottes!
Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.