Faxbox-Predigt vom 11.02.2001
Die Wahrheit sehen, wer will das nicht! So leicht wie in den vergangenen Woche war die Wahrheit offenbar noch nie zu haben. Das einzige Voraussetzung ist ein Fernsehgerät und der Zugang zu den entsprechenden Kanälen, und da gibt es einige zur Auswahl.
Nun kann es los gehen. So zum Beispiel am vergangenen Mittwoch, kurz vor 23 Uhr, einfach nur zu dem Sender mit der kleinen bunten Kugel als Logo zappen, schon war man mitten drin in der Wahrheit, und wer das nicht glauben wollte, dem röchelte der Sprecher ins Ohr: Die Wahrheit hier sehen!
Wer jetzt immer noch nicht weiß, wo er ist, dem muss geholfen werden: Wir befinden uns live mitten im aktuellen Big Brother Haus! 12 junge Erwachsene, ständig in der Gefahr aus diesem modernen Internat der wahren Menschen – von wem auch immer – heraus gewählt zu werden, und deren Intelligenzquotient nicht höher als eine Fußleiste zu sein braucht, stehen nun vor einer wahren Herausforderung. Diesmal geht es nicht um den dümmsten Witz, die größte Körbchengröße, oder möglichst viel nackte Haut, so gerade am Jugendschutzgesetzt vorbeigeschrammt, sondern um die alltäglich Überwindung des menschlichen Ekels. Noch von einer silbernen Glosche verdeckt, musste einer nach dem anderen seinen Teller anpeilen und auf Kommando das kulinarische Geheimnis zu lüften, zur Freude aller Beteiligten. Aber damit nicht genug, sie mussten auch essen was ihren Augen gar nicht schmeichelte. So wanderten Larven, Küchenschaben, Mehlwürmern und andere behaarte Kleinsttiere in den Rachen dieser meist angeekelten Mitspieler, die vertraglich alle Menschenrechte an der Container-Gaderobe abgegeben haben.
So heißt die Devise bei „Big Brother“, „Girlscamp“, „House of Love“, „Expedition Robinson“, „Inselduell“ und wie dieses sogenannten Reality -TV sich noch so schimpfen, mal behaartes Kleintier runter – Quote rauf, Hose runter – Quote rauf, Bettlaken runter – Quote rauf, Duschvorhang runter – Quote rauf, Büstenhalter runter – Quote rauf oder ganz einfach Niveau runter – Quote rauf!
Es ist schon eine sehr interessante Entwicklung, dass die Wahrheit zu reduzieren ist auf den Begriff „Hauptsache nur runter“, mit wem und was auch immer. Belegt wird die beste aller möglichen Wahrheiten, die so tief runter gehen muss, dass sie nur noch in der Gosse zu finden ist, mit der höchsten Zuschauerquote und das ist einzig der Erfolg dieser Wahrheiten, der zählt.
Auch wer bei allerbestem Willen diesen „Wahrheiten“ noch das Attribut Sondermüll zum müden Lächeln zugesteht, der muss schon hellhöriger werden, wenn er erfährt, dass viele jugendliche Zuschauer, und nicht nur die, diesen Sondermüll als einen anzustrebenden Wert betrachten. Viele möchten auch so sein wie diese Duschhelden mit Brustwarzenpiercing und doppeldeutig-eindeutigen Begrifflichkeiten, in gläserner IQ-freier Umgebung. Das ist die Wahrheit und sie ist ein Wert und somit erstrebenswert.
Wer an diesem Reality-TV nun ernsthaft herumnörgelt, der wird oft als Spielverderber apostrophiert, der keinen Spaß an der Freud kennt und einfach nur von der Gegenwartswahrheit vergessen wurde!
Wenn auch noch recht verhalten, so steht unsere Gesellschaft wiedereinmal vor der Tatsache sich darüber verständigen zu müssen, was die allgemeinen Werte in unserer sich ständig beschleunigenden Zeit sein könnten.
Gerade bei denen allerdings, die sich nichts Größeres vorstellen können als in dieser TV-Aphrodisiaka eine Hauptrolle zu spielen, weil sie ja so schön wahr ist, scheint eine Wertediskussion nicht anzustehen, wie auch, sie spielen ja die Wahrheit mit ihren Werten wie im richtigen Leben. Es ist wohl nur ein schwacher Trost für diejenigen in unserer Gesellschaft, die der Frage nach den Werten einer Gesellschaft noch nachgehen, dass die Einschaltquoten dieser Sendungen eher herunter gehen als nach oben steigen (Welch ein Anachronismus zur eigentlichen Devise dieser Sendungen).
Eines allerdings wird auf Dauer als Wahrheit sich erweisen: Dass diese angeblichen Wahrheiten und Werte, die in diesen Fernsehsendungen der Öffentlichkeit angeboten werden, nicht von Dauer sind. Denn auch denen, die heute in dieses Reality-TV verliebt sind, wird morgen etwas fehlen, Werte die wirklich tragen und die zu leben es sich lohnt.
Bleibt zu fragen: Wer gibt uns diese Werte? Sind Werte immer neu verhandelbar? Gibt es eigentlich bleibende Werte, die für jeden in unserer Gesellschaft verbindlich sein können?
Das Christentum hat sich immer verstanden als eine Gemeinschaft, die auf dem Fundament der Christlichen Botschaft Werte formulieren kann und soll. So sind zum Beispiel die 10 Gebote des alten Testament durchaus tragfähige Werte, die das Zusammenleben zwischen Gott, den Menschen und der Schöpfung in Einklang bringen könnte. Auch das heutige Evangelium spricht von Werten.
Selig sind die Armen, die Hungernden und die Weinenden. Aber dies sind nicht die Werte an sich, die in diesem Evangelium angestochen werden. Die hier selig Gepriesenen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen, verfolgt, gehasst und beschimpft werden, sind selig, weil sie an der Botschaft Gottes festhalten, die uns in Jesus Christus geoffenbart ist, und nicht irgendwelchen Trends einer Gesellschaft nachlaufen, die sie aber nicht mittragen können. Selig sind die, die an den Werten festhalten, die den Menschen dauerhaft schützen und so Gott treu bleiben, der nichts anderes will, als den Schutz des Menschen, damit das Leben eines jeden Menschen auch gelingen kann. Das Christentum hat nichts gegen Menschen, die lachen, die sich satt essen können oder die gelobt werden. Das Christentum hat in seiner Kernaussage aber schon etwas gegen die Menschen, die lachen, satt werden und sich loben lassen auf Kosten anderer.
Der Wert, um den es in dem heutigen Evangelium geht, ist die Botschaft Gottes an sich, die an uns Menschen gerichtet so auf eine Kurzform gebracht werden kann: Ich bin der Gott auf der Seite der Menschen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben! Wer aber für diese Botschaft einsteht, sie lebt und sie so auch verkündet, dem kann es auch heute noch passieren, dass er nichts mehr zu lachen hat, ja vielleicht auch Hunger leiden muss oder von der Gesellschaft isoliert wird, weil ihm der Gegenwind der Andersdenkenden ins Gesicht schlägt.
Der Schmerz, der in diesem Evangelium angesprochen wird, ist nicht der Wunsch Gottes aber eine mögliche Erfahrung der Menschen, die sich von der Botschaft Gottes nicht abbringen lassen, und deshalb von anderen Menschen diese Schmerzen zugefügt bekommen.
Doch wie lauten die Werte der Botschaft Gottes? Ich glaube die Werte der Botschaft Gottes müssen in ganz einfachen „Werteworten“ in unsere Gesellschaft hineinbuchstabiert werden:
Es ist ein Wert zu helfen!
Es ist ein Wert dem zu geben, dem das Nötigste zum Leben fehlt!
Es ist ein Wert zu verzeihen!
Es ist ein Wert die Schöpfung zu bewahren!
Es ist ein Wert zu lieben und in Treue zu dieser Liebe zu stehen!
Es ist ein Wert sein Leben anzunehmen so wie Gott es uns spüren lässt, und so auch das Leben der anderen Menschen!
Es ist ein Wert Gott zu trauen und die Kommunikation mit ihm zu gestalten!
Es ist ein Wert in Würde alt werden zu dürfen!
Das klingt so einfach, ist den meisten von uns auch sehr vertraut, und kaum einer von uns würde sagen, diese Werte sind nichts wert! Umso unverständlicher ist es, dass das, was keiner ernsthaft als wertlos bezeichnen würde, noch so häufig fehlt. Überall, wo wir hinschauen leiden Menschen, weil ihnen vorenthalten wird, was in diesen einfachen „Werteworten“ zu Ausdruck gebracht ist.
Die Frage nach den Werten ist die Frage nach einfachen Lebensregeln. Ich habe heute längst nicht all das aufgezählt, was einen Wert darstellt, der eine Gesellschaft zusammenleben lässt, ohne dass Menschen dafür mehr bezahlen müssen als andere.
Sie werden zu recht sagen, zu dem Thema Werte haben Sie uns heute aber nicht Neues gesagt! Ich geben Ihnen recht! Aber wir alle werden in folgendem Punkt auch übereinstimmen: Wenn wir uns alle etwas mehr an den uns allen so vertrauten Werten orientieren würden, nur an denen, die ich gerade aufgezeigt habe, dann würde unser gemeinsames Leben viel gewonnen haben.
Eines bleibt auch mit Blick auf die eingangs angesprochenen Fernsehsendungen Gewissheit: Was Wahrheit ist, ob im richtigen Leben oder im hergerichteten Leben via Reality-TV, stellt noch längst keinen Wert da! Aber Werte, die alle für wertvoll halten, machen erst dann Wirklichkeit aus, wenn sie im richtigen Leben mit Leben gefüllt sind.
Diese Ansprache erschien als Faxbox-Predigt des Bergmoser + Höller Verlags.