Kevelaer am 3. April 2008
Zelebrant: Weihbischof em. Karl Reger, Aachen
Predigt: Pfarrer Christoph Stender, Aachen
Lieben Mitchristinnen und Mitchristen.
Was darf erwartet werden von einer Predigt anlässlich des 60-jährigen Bestehens der deutschen Sektion in der internationalen Bewegung Pax Christi?
Wesentlich wohl Wertschätzung der Geschichte dieser Bewegung und derer in ihr, die sie bewegt und so geschrieben haben.
Solcher Würdigung voranzustellen ist allerdings zuerst eine Verneigung vor dem Mut der Männer und Frauen die beginnend mit dem Jahr 1947, ausgehend von der niederrheinischen Stadt Krefeld zu dem „Bekenntnis der Sühne und Buße“ standen, der sein Symbol gefunden hat in dem Aachener Friedenskreuz mit dem Bild des dornengekrönten Antlitz Christi (vom Aachener Künstlers Prof. Anton Wendling geschnitzt). Vor allen aber gilt es eine tiefe Verneigung vor den französischen Katholiken zu machen, die noch vor Ende des zweiten Weltkrieges „mit der Vergebungsbitte für die Schuld Deutschlands ein erstes Zeichen setzten und Deutschland die Hand der Versöhnung reichten“. Das war die Grundsteinlegung für die internationale Bewegung pax christi, die mit ihrem Kongress 1948 hier in Kevelaer die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland überschritt.
Weiter erwartet werden darf sicher auch eine Würdigung der vielfältig engagierten Frauen und Männern in den Diözesen Deutschlands und in der ganzen Welt, die bis heute sich dafür einsetzen, aus dem Geist des Friedens und der Versöhnung heraus zu handeln.
Diese hier nur angedeutete Wertschätzung ist im Vorfeld des Jubiläums, und wird in ihrem Verlauf hier in Kevelaer sowie mit dem Festakt in Berlin noch weiter entfaltet und so fortgesetzt werden. Diese Gewissheit eröffnet mir die Möglichkeit aus einer anderen Perspektive meine Predigt nochmals zu beginnen.
Liebe Mitchristinnen und Mitchristen
Es ist gut dass Sie Leben, ja dass Sie leben ist wertvoll und schön. Nein, verstehen sie mich jetzt bitte nicht falsch. Ich möchte damit nicht einfach nur so sagen: „Schön dass sie da sind“, „gut sich mal zu sehen“, oder „interessant dass es Sie auch gibt“.
Ihr Leben zu begrüßen, Ihr „da Sein“ einfach bedingungslos wertzuschätzen und so hervorzuheben hat seinen tiefen Sinn darin, auf die eine leise Grundmelodie allen Lebens zu horchen. Diese Melodie klingt auch in Ihnen, und in Sie hinein zu hören, sie bewusster auch am heutigen Tag für Wahr zu nehmen, das ist die Einladung unseres Gottesdienstes. Mit dieser Melodie identifizieren wir uns, sie bewegt uns und sie ist Ausdruck unserer auch alltäglichen Hoffnung.
Diese Melodie, deine Melodie, meine Melodie klingt so: „Ich will Leben, Leben, ja ich will Leben.“ Sie klingt in allen Menschen, von allen Orten, „ich will Leben“, aus allen Städten, „ich will Leben“, aus allen Ländern, „ich will Leben“, in allen Nationen unüberhörbar „ich will Leben“. Egal welche gesellschaftlichen Gruppen, Nationalitäten oder Religionen, „ich will Leben“, das ist die Melodie der Menschen.
Diese Melodie wird zum Chor der Kontinente. und kaum ein Lied dieser Welt ist nicht getragen von dieser einen Melodie: „Ich will Leben!“ Mit der Geburt eines Kindes, auch jetzt in diesem Augenblick zur Welt gekommen, bekommt diese Melodie eine neue Stimme „ich will leben“, und mit jeder weiteren Geburt eine neue.
Leben, und seine Melodie Leben zu wollen, die einmündet in den Chor der Milliarden, hat nur eine einzige wirkliche Hausmacht, den Frieden. Dieser Gewissheit entspringt auch die Kraft die unsere Bewegung in Bewegung hält. Denn ohne die schützende Kraft des Friedens ist die Sehnsucht der Lebenden, Leben zu wollen, nur ein Abgesang. Das musste die Menschheit immer wieder sehr schmerzlich erfahren, aber nachhaltig daraus weltweit gelernt zu haben scheint sie nicht viel. So muss weiter um den Frieden gerungen werden. Da ist Pax Christi ein Weg, bewährt in der Vergangenheit, auf die Probe gestellt in der Zukunft. So spart keine Rede, auch keine Erklärung dieser Welt, das Miteinander der Menschen betreffend, mit Friedensworten, Friedensappellen und Mahnungen zum Frieden.
Und kaum ausgesprochen steigt in jenen die von Frieden sprechen, wie auch in denen die davon hören, in jenen die davon träumen, in anderen denen man versagt vom Frieden zu sprechen, einfach im Menschen immer wieder dieses „Ich“ auf, das Angst hat um sich selbst.
Die Sehnsuchtsmelodie Leben und die Angst um sich selbst, sie nehmen Platz in jedem Menschen.
Die Wurzeln dieser Angst liegen in der Existenz des „Anderen“, des „anderen“ in mir selbst, in den anderen Menschen und in dem „Anderen“ in dieser Welt. Diese Angst nehmen wir unterschiedlich wahr, ihre Belastung wiegt mal leichter und mal schwerer, und mit ihr umzugehen sucht der Mensch verschiedene Wege und Antworten.
Vielfältige menschenverachtende Antworten haben Menschen aus dieser Angst heraus in die Welt gesetzt wie: Den Anderen nicht zu zulassen, ihn zu meiden, ihm die Teilhaben zu verweigern, ihn auszugrenzen, zu verurteilen, ihn zu verfolgen, ihn wegzusperren, zu verbieten, Bildung zu enteignen, zu verhindern, weg zu mobben, abzuschneiden. Das sind nur einige der vielen Weisen wie Menschen andere Menschen um die Melodie ihres Lebens berauben konnten und können. Aber diese Menschen die Lebensmelodien zerstört haben und zerstören reden angesichts des Blutes auf den Strassen noch von friedlichen Absichten. Paradox!
Das ist Welt, überall, auch Welt, ein Teil von ihr, und ein Teil zuviel. Diese dunkle „Welt – Erfahrung“ ist angerichtet worden und wird errichtet von Menschen, die sich ihren dunklen Gedanken überlassen, die in Machtphantasien sich selbst zu den Mächtigen machen, die einem Wahn gewollt sich ergeben.
So wurde und wird Unheil aller Art. Und jene, die mit Unheil unsere Welt verpesten und schlachten, auch damals, stimmen selbst unbeirrt und mit unbewegter Stimme ein in den Chor der Milliarden: „Ich will leben“. Paradox!
In diese Welt hinein gab sich Gott in Jesus Christus ein Menschengesicht, um sich neu denen zu offenbaren, die er nach seinem Ebenbilde schuf. Und mit Christus rief Gott den Menschen heraus „aus seiner Angst um sich selbst“, die das Geschöpf immer wieder trieb und treibt Menschenverachtendes zu denken und auch in die Hand zu nehmen.
Mit Christus sollte das Bild Gottes, aus der Bildlosigkeit des göttlichen heraus aufscheinen auf den Gesichtern aller Menschen, die so angstbefreit einander anschauen.
Aber der Mensch traute mehr seiner Angst, wie so oft, dieser „Angst um sich selbst“, denn er fürchtete um sich und seine Macht, selbst und besonders im Angesicht Gottes. Und so krönte der Mensch Christus, das Bild Gottes mit den Dornen seiner Angst, und flocht eine Dornenkrone, tötete den Anderen und sagte dabei zu sich: Ich, ich bin mächtig, und trotzdem beschlich ihn wieder diese eine Angst.
Zeitenwende:
Mit dem Tag, Christusgeschichte angebrochen, an dem der Menschgewordene Gott in Jesus Christus das Wort „Frieden“ in den Mund genommen hat, hätte der Mensch begreifen können wie sehr die Worte des Friedens auf seinen eigenen Lippen ausgetrocknet sind. Und bis heute bleibt im Angesicht Jesu Christi jede unserer Friedensanstrengungen egal in welche Form nur eine Annäherung an das Wort des „Friedens“ aus Jesu Mund.
Der Friede von dem wir sprechen, den wir zu ermöglichen versuchen, ist ein dahin gehauchter Frieden, bedroht von Verflüchtigung, Unterwerfung aber auch von Hoffnungslosigkeit. Trotzdem und gerade deswegen sind wir als Christinnen und Christen, wie alle Menschen guten Willens auch, herausgerufen Frieden in unserer Welt hinein hauchen zu wollen, eigentlich zu müssen. Denn Gott setzt weiter seine Hoffnung in unsere menschliche Kraft, dem Frieden immer wieder eine Gestalt geben, mit unsren Händen auf unsren Gesichtern. Gilt es doch tief im Herzen und im Verstand anzunehmen dass wir mit der Auferstehung Jesu Christi befreit sind von der „Angst um uns selbst“. Davon zu erzählen ist der zentrale Vermittlungsgegenstand, Kern der Erzählgemeinschaft die Christinnen und Christen sind.
Die Wurzel des Unfriedens, die Angst vor dem Anderen, dem Andersartigen der Menschen, diese „Angst um sich selbst“ hat Jesus in Kreuz und Auferstehung zerbrochen, und so ist unsere existentielle Angst zurückgelassen und beigesetzt – wenn wir sie ruhen lassen können – in dem Grab, dem der Auferstandenen Christus entstieg.
Er, der Auferstandene, nimmt mit seinem österlichen Gruß „Friede sei mit euch“ das Wort des Friedens mit einer neuen Qualität in den Mund. Er traut uns im Hl. Geist zu zu erkennen, dass mit Jesu Christi österlichem Friedensgruß eine neue Lebensqualität für uns Menschen eröffnet ist, befreit zu sein von der „Angst um sich selbst“, und so neu, befreiter zu leben und zu befrieden.
Unser befreit sein von „der Angst um sich selbst“, diese Auferstehung mitten im Leben betrifft auch all das was wir in die Hand nehmen, alle unsere Aktivitäten und unser Handeln.
Aus der Perspektive dieser neuen Lebensqualität ist uns die Verantwortung auferlegt immer neu zu überprüfen, ob unser Denken. Entscheiden und Handel von Angst und Ängstlichkeiten befreit ist. Dies gilt auch für unsere Bewegung Pax Christi, ihre Strukturen, ihre Gewohnheiten sowie ihr Daherkommen bedürfen vor diesem Hintergrund der Überprüfung.
Und in die Zukunft geschaut fragen sich viele Pax Christi Mitglieder sorgenvoll. Wie lautet zukünftig unsere Botschaft gerichtet an die junge Generation, also an die Menschen die Pax Christi auch weiter bewegen sollen.
Diese Botschaft in die Zukunft hinein sollte ein Lebensgefühl sein, vorgelebt und vermittelt in Räumen, in denen jungen Menschen leben und sich selber erleben können. Denn diese neue Lebensqualität, das Lebensgefühl der „Angst um sich selbst“ nicht mehr erliegen zu müssen braucht Raum in Weite mit Struktur. Gespeist und existentiell erlebbar ist diese neue Lebensqualität in „nachösterlicher Zeit“ im Vertrauen auf den Auferstandenen Christus, der immer neu auf uns Zukommen in der Heiligen Eucharistie. Dieses Erleben müssen sich junge Menschen erschließen können. Wer ohne existentielle Angst seine Ohren öffnet für die Melodie des Chores der Milliarden „Leben zu wollen“, der hört nicht nur die Melodie eines Gegenübers, sondern auch die eigene Melodie „Leben zu wollen“. Leben ist aber auch ein kreatives die eigene Melodie in unterschiedlichen Instrumentarien zum Klingen zu bringen, da gilt es die Saiten der nächsten Generation auch zu wollen.
Mit einer gemeinsamen Melodie sind wir, ist der Andere und das Andersartige, der fremde aber auch der scheinbar vertraute Mensch keine Bedrohung mehr. Der große Chor der Kontinente und nur eine Melodie „Leben zu wollen“, hält das Ziel einer jeden Friedensarbeit konkret vor Augen. Dieses Ziel ist eine Vision die immer entscheidender in die Hand der jüngeren Generation gelegt ist. Von dieser Vision darf generationenübergreifend geträumt werden.
Mag unsere Bewegung Pax Christi auch zukünftig mit dazu beitragen, dass junge Menschen mutig daran zweifeln, ob nur Schönheit, Sicherheit, Macht und Erfolg einzig „erstrebenswert“ ist.
Schaffen wir Räume in unserer Bewegung, in denen es sich lohnt auch „weitergehend“ zu fragen, ob nicht die Lust am eigenen und die Lust am Leben des anderen Menschen Geschwister sind, ob es nicht einfach ein Wert ist in Frieden den Anderen sicher zu wollen und das angstfrei.
Dies ist ein Weg auf dem junge Menschen eigenverantwortlich erleben können überkommene „Werte“ selber zu relativieren.
Vielleicht könnte dann in einem solchen Kontext folgender Dialog zwischen zwei Jugendliche entstehen: „Wie, ist eine neue Marke, aber Klamotten sind nicht gemeint?“ Antwort: „Ja, denn es gibt auch etwas für drunter, Friedenssehnsucht, Angstfreiheit und Freude am Anderen. Ein neues Label eben und eines mit Zukunft!“
Von einem Tisch geträumt:
Einen Tisch träume ich
unendlich in allen Dimensionen
ungezählten Menschen bietet er Platz
an dem Hände sich berühren
Blicke sich begegnen
Worte Wiederklang finden
Einen Tisch träume ich
der aller Gastgeber ist
jeder – so gewollt – wie Platz genommen
einfach willkommen
Einen Tisch träume ich
an dem kein Mund leer
kein Herz trocken bleibt
Worte werden gereicht
die nach Dank schmecken
Lieder gesungen
einfach zum Geschenk
Ein Stück Brot und ein Schluck Wein sättigen
auch für diesen Morgen
jenseits von Raum und Zeit
mit Dir
Ich träume ein Mahl das die Menschen vereint
von allen Gesichtern dieser Welt lebt
ein Krümel die Welt sättigt
und ein Schluck spüren lässt:
„Du bist aller Gastgeber,
Gott“